12. Juli 2011
Deutscher Betriebsrätepreis 2011: Harman Becker bleibt in Schaidt
„Wir haben die Verlagerung verhindert“
Die US-Konzernspitze von Harman Becker hatte die Verlagerung der Produktion aus dem pfälzischen Schaidt nach Ungarn bereits beschlossen. Doch der Betriebsrat hat gemeinsam mit der Belegschaft und der IG Metall erfolgreich dagegengehalten: Der Standort und die 670 Arbeitsplätze bleiben. Dafür ...

... wurde der Betriebsrat für den Deutschen Betriebsrätepreis 2011 nominiert.

„Wir haben die Verlagerung verhindert“, freut sich Petra Meyer-Spreckic, Betriebsratsvorsitzende bei Harman Becker im pfälzischen Schaidt. „Eine Verlagerung, die bereits von der US-Konzernspitze beschlossen war. Das ist ein großer Erfolg.“ Der Betriebsrat hat gemeinsam mit der Belegschaft und der IG Metall mit Sachverstand und Kampf die Konzernspitze schließlich im März zum Einlenken und zur Unterzeichung von zwei Tarifverträgen gezwungen: Der Standort Schaidt ist bis mindestens März 2016 gesichert. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2013 ausgeschlossen.

Auch für die Zeit danach sind Kündigungen und damit auch eine Schließung erschwert: In Schaidt bauen 670 Beschäftigte Radio- und Navigationssysteme für Autos. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten im Betrieb. Die tariflich vereinbarten Abfindungen in Höhe von 1,8 Monatsgehältern je Beschäftigtenjahr plus 10000 Euro würden die Firma leicht eine hohe fünf- oder gar sechsstellige Summe je entlassenen Beschäftigten kosten.

Konzernspitze will Verlagerung in „Best-cost-Country“
Vor ein paar Monaten sah das noch ganz anders aus: Letztes Jahr im Herbst kündigte die Konzernleitung von heute auf morgen die Schließung oder den Verkauf des Standorts Schaidt an. Seit Finanzinvestoren, unter anderem KKR, 2008 das Ruder bei Harman Becker übernommen hatten, wehte ein scharfer Wind. Kosteneinsparungen wurden zum obersten Ziel erklärt. Die Produktion in Schaidt sollte in ein „Best-cost-Country“ verlagert werden. Es sollte nach Ungarn gehen, wo Harman Becker bereits einen kleinen Standort hat, der in den letzten Jahre mit EU-Subventionen ausgebaut worden war.

„Wir waren empört“, erinnert sich Petra Meyer-Spreckick. „Es kann doch nicht sein, dass wir mit unseren Steuergeldern den Abbau unserer Arbeitsplätze finanzieren.“ Der Betriebsrat nahm Kontakt mit der rheinland-pfälzischen EU-Abgeordneten Jutta Steinruck (SPD) auf, um entsprechenden Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Denn eine EU-Richtlinie zu Subventionen sieht vor, dass die EU-Fördergelder zurückgezahlt werden sollen, wenn dadurch eine wesentliche Anzahl von Arbeitsplätze anderswo in der europäischen Union abgebaut werden.

Kämpfen und verhandeln
Betriebsrat und die in der IG Metall organisierten Beschäftigten kämpften gegen die Verlagerung mit zahlreichen Aktionen im Werk. Auch die Leihbeschäftigten waren immer alle dabei. Die zeitnahe und intensive Information der wurde zur tragenden Säule des Widerstands, gegen die Pläne des Managements. Die Menschen fragten: „Wie sieht unsere Zukunft aus?“. „Was ist mit meinem Haus, das ich noch abzahlen muss?“. Eine dieser Informationsrunden zog sich über 26 Stunden in der Kantine.

Über die Weihnachtsferien bezogen die Beschäftigten eine Mahnwache im Bauwagen vor dem Werkstor, um zu verhindern, dass die Geschäftsleitung Maschinen abtransportiert. „Wir sahen da klare Anzeichen. Vorgesetzte hatten schon einzelne Beschäftigte vorsichtig angefragt, ob sie bereit wären mitzugehen, um an einem anderem Standort beim Anlernen zu helfen“, erzählt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Stefan Glaser. Er blieb mit einigen anderen auch an Weihnachten und Sylvester da. „Da waren immer Leute mit uns im Bauwagen“, erinnert sich Glaser. „Und nicht nur die Bevölkerung, sondern auch Gewerbetreibende aus Schaidt und Umgebung halfen uns: Ein Bauunternehmer stellte uns den Bauwagen kostenlos zur Verfügung. Wir bekamen Heizung, Internet, Kaffeemaschinen – Brot vom Bäcker und Strom vom Obstladen nebenan. Die haben ja auch gewusst: Wenn wir zugemacht werden, sind ihre Kunden ja auch weg.“

Protest im Bauwagen bei Harman Becker in Schaidt.
Mahnwache mit Bauwagen bei Harman Becker in Schaidt.



Der Konflikt spitzt sich zu
Ständig waren Fernsehen, Radio und Presse vor Ort und berichteten über den Konflikt. Ab Februar schließlich traten die Beschäftigten mehrfach in den Warnstreik, um Druck für die laufenden Tarifverhandlungen zu machen. Der Anteil der IG Metall-Mitglieder in der Belegschaft war mittlerweile von 60 auf über 90 Prozent gestiegen. Aus anfänglicher Angst wurde die Einsicht, dass nur gewerkschaftliche Gegenwehr die eigene Zukunft sichern konnte.

Parallel dazu suchten Betriebsrat und IG Metall gemeinsam Wege, um Schließung und Kahlschlag zu verhindern. Der Rheinland-Pfälzische Landesregierung baute Kontakt zu potenziellen Käufern für das Werk in Schaidt auf. Es gab mehrere Interessenten. Noch im Dezember stand der Verkauf stand unmittelbar bevor. Erste Vereinbarungen waren bereits getroffen. Doch die US-Konzernspitze ließ den Verkauf dann doch noch in letzter Minute platzen.

Druck über Kunden aufbauen
Wenn in Schaidt wegen Aktionen die Arbeit ruhte, wirkte sich das auch sofort auf die Kunden, beispielsweise Mercedes, Volkswagen, Audi und Porsche aus. Harman Becker liefert schließlich keine einfachen, austauschbaren Radios sondern ganzheitliche Infotainmentsysteme, ohne die das Auto nicht läuft, „just-in-time“ an die Bänder der Hersteller. Wenn die Lieferungen aus Schaidt ausblieben, standen auch bei den Kunden die Bänder. „Das war auch immer eine Gratwanderung“, erinnert sich Petra Meyer-Spreckic. „Da muss man aufpassen, dass man nicht überzieht und die Kunden sich langfristig doch einen anderen Lieferanten suchen. Doch die IG Metall hat frühzeitig den engen Kontakt mit unseren Betriebsratskollegen bei den Autoherstellern hergestellt. Das war wichtig.“

Der IG Metall-Betriebsräte bei den Kundenunternehmen, darunter die Betriebsratsvorsitzenden von Volkswagen und Porsche, Bernd Osterloh und Uwe Hück setzten sich für den Erhalt des bewährten Zulieferer Standortes in Schaidt ein. Angesichts der großen Geschlossenheit der Belegschaft konnten IG Metall und Betriebsrat mit einer weiteren Eskalation des Konflikts drohen. Ein Arbeitskampf stand unmittelbar bevor. Die Konsequenz wären massive Produktionsausfällen in der Automobilindustrie gewesen. Der Druck der Autohersteller wandte sich schließlich gegen die Harman-Konzernleitung und ihre Verlagerungspläne.

Am 10. März gab die Harman-Konzernspitze dem Druck von Belegschaft und Kunden schließlich nach und unterzeichnete zwei Tarifverträge: einen Ergänzungstarifvertrag, der den Arbeitsplätze bis Ende 2013 und den Standort bis März 2016 sichert. Und einen Sozialtarifvertrag, der die Höhe der Abfindungen regelt.

Weiterschauen nach neuen Produkten für die Zukunft
Bei Harman Becker in Schaidt ist nun wieder Ruhe eingekehrt. Doch der Betriebsrat ruht sich nicht aus, sondern schaut weiter in die Zukunft: Gemeinsam mit der IG Metall und DGB-Technologieberatungsstelle Rheinland-Pfalz und mit Unterstützung der Landesregierung Rheinland-Pfalz geht es nun um die Suche nach neuen Produkten für den Standort Schaidt. Produkte, auch jenseits der Autoindustrie, die auch nach Auslaufen der aktuellen Aufträge und Projekte Beschäftigung in Schaidt sichern, betont Uwe Schütz von der IG Metall Neustadt an der Weinstraße, der für Harman Becker in Schaidt verantwortlich ist. „Langfristig lässt sich Zukunft nur durch Innovation und Investitionen in neue Technologien sichern. Dieses Thema tragen wir in den nächsten Monaten und Jahren nachdrücklich an Harman Becker heran – nicht nur für Schaidt, sondern auch für die anderen Harman-Standorte in Deutschland.“


Harman-Becker: Verhandlungsergebnis beim Automobilzulieferer in Schaidt (10.03.2011) Harman-Becker: Kampf um den Erhalt des Schaidter Werks (26.01.2011) Deutscher Betriebsrätepreis 2011: Vereinbarkeitsregelung bei Qioptiq in Regen Deutscher Betriebsrätepreis 2011: Standortsicherung bei der Firma Risse-Wilke GmbH

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