23. Juli 2014
Gesundheit
„Der Stress wird immer größer“
Permanenter Leistungsdruck, ständige Erreichbarkeit: Bei Volkswagen in Braunschweig hat der Betriebsrat durch eine detaillierte Befragung die Stressquellen im Büro aufgespürt – und zieht Konsequenzen.

Mathias, Ihr habt am Standort Braunschweig gerade eine große Angestelltenbefragung zum Thema „Gute Arbeit im Büro“ durchgeführt. Was gab den Anstoß?

 

Mathias Möreke: Der Startschuss kam vor zwei Jahren durch eine Befragung des Gesamtbetriebsrats an allen Standorten. Dabei kam heraus: Themen wie Arbeitsintensität und Leistungsdruck spielen bei uns eine starke Rolle. Der Stress wird immer größer. Beschäftigungssicherung ist aus Sicht der Kolleginnen und Kollegen nach wie vor eine wichtige Aufgabe. Aber vor dem Hintergrund unseres Wachstums und der Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung spielt sie nicht mehr die alleinige Hauptrolle. Als Betriebsrat haben wir uns gefragt, wie wir dasThema aufgreifen können.


Und da seid Ihr auf das Stress-Bürometer gekommen?

 

Ja, nachdem es sich am Standort Kassel bewährt hatte, haben wir uns für diesen Fragebogen entschieden. Das Stress-Bürometer ist ein Instrument, mit dem man Stressquellen im Angestelltenbereich aufspüren kann. Es setzt auf Rückmeldungen der Beschäftigten. Das war uns wichtig. Volkswagen befindet sich im Wandel. Am Standort Deutschland wird das Engineering, also das Projekt- und Produktmanagement, wichtiger. Psychische Belastungen spielen gerade im Angestelltenbereich eine große Rolle.

 

Wie ist der Fragebogen aufgebaut, was wird abgefragt?

 

Vorgesehen sind sechs Bereiche, die abgefragt werden. Die Fragebögen lassen sich aber gut auf die jeweilige Situation im Betrieb zuschneiden. Generell sollen Arbeitsbedingungen ermittelt werden, die Stress, Ermüdung, Monotonie oder herabgesetzte Wachsamkeit erzeugen. Wir haben unsere Kolleginnen und Kollegen zur Arbeitsorganisation befragt, zum Leistungsdruck, zum Betriebsklima und zu den Umgebungseinflüssen, denen sie ausgesetzt sind. Schließlich haben wir gefragt, welche Handlungsspielräume sie bei der Arbeit haben.

 


Was hat Euch bei der Befragung am meisten überrascht?

 

Die Resonanz auf die Befragung war sehr gut. Wir haben die Befragung in zwei Wellen mit je 700 Fragebögen durchgeführt, knapp 70 Prozent haben geantwortet. Wir waren auch positiv überrascht, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen mit dem Betriebsklima zufrieden sind: 76 Prozent gaben an, dass ihre Arbeit vom Vorgesetzten wertgeschätzt wird, 81 Prozent sagten, dass sie von Kollegen Anerkennung erhalten. Das ist schön. Allerdings weisen die Zahlen auch auf Probleme hin.

 


Wo liegen die?

 

Vor allem im Bereich der Arbeitsorganisation gibt es viele Stressquellen. Nur 44 Prozent der Befragten können ihre Arbeit auch während ihrer Arbeitszeit erledigen, 80 Prozent der Kolleginnen und Kollegen fühlen sich von Unterbrechungen gestört. Fast die Hälfte gibt an, dass von ihnen erwartet wird, über das Ende der Arbeitszeit hinaus verfügbar zu sein.

 


Wie schaut es mit den Handlungsspielräumen und Umgebungseinflüssen aus?

 

Auch da ist längst nicht alles in Ordnung. Drei von vier Befragten fühlen sich durch die Geräuschkulisse negativ beeinflusst, über die Hälfte aller Befragten gibt an, dass es in ihrer Abteilung nicht genügend Büroflächen gibt. Lediglich 39 Prozent unserer Kollegen gaben an, dass sie Einfluss auf ihre eigene Arbeitsumgebung haben. Hier besteht Handlungsbedarf.
 

 

Befragungen durchzuführen ist schön und gut, aber wenn Ergebnisse folgenlos bleiben, bringt es nichts.

 

Das ist vollkommen richtig. Deshalb haben wir nach der ersten Befragungswelle Workshops organisiert. Das Besondere an ihnen war, dass wir sie mit exakt denselben Methoden durchführten, die VW anwendet, um die Produktivität zu erhöhen. Das waren spannende Nachmittage.

 


Inwiefern?

 

Weil die Kolleginnen und Kollegen sich aktiv, offen und konstruktiv eingebracht haben. Sie haben sich Gedanken darüber gemacht, wie sie ihre Arbeit besser organisieren können, welche Maßnahmen sich mit Vorgesetzten umsetzen lassen und wie Betriebsrat und IG Metall sich dafür einsetzen können, Stress am Arbeitsplatz zu verringern.

 


Welche Anregungen gab es?

 

Oh, eine Menge. Etwa Besprechungen künftig nur innerhalb der Kernarbeitszeit abzuhalten. Es wurde darauf gedrungen, Regeltermine zu synchronisieren. Und es geht auch darum, eigene Prioritäten zu setzen, Nein zu sagen, wenn es zu viel wird, und abends das Handy auszuschalten.

 


Mit Selbstoptimierung allein wird Stress nicht beseitigt.

 

Klar, das ist nur ein Baustein. Wichtig ist eine neue Fehlerkultur, wichtig ist eine gute Mitarbeiterführung. Und auch, dass ein Vorgesetzter von seinen Beschäftigten ein Feedback zu seinem Führungsverhalten erhält. Um Stress zu verringern, wollen wir zu dem die Büroraumgestaltung nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen verbessern. Dafür haben wir einen Büroraum-Planungsworkshop ins Leben gerufen. Letztlich aber brauchen wir auch dringend eine gesetzliche Anti-Stress-Verordnung.


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