31. Juli 2015
Führungskräfte und Beschäftigte im digitalen Wandel
„Das alte System passt nicht mehr“
Die Digitalisierung krempelt die Unternehmen um, auch die Arbeit in den Büros ändert sich massiv. Die Führungskultur hält mit dem rasanten Wandel nicht Schritt. Ein Problem für Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen.

Der digitale Wandel kommt immer mehr in den Unternehmen an. Nicht zuletzt die Arbeitnehmer in den Büros bekommen das zu spüren. In den ITK-Berufen nehmen Projekt- und Teamarbeit zu. Geteiltes Wissen löst das Silodenken ab. Hinzu kommt die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten und der Wunsch der Beschäftigten nach mehr Mitbestimmung, etwa mit Blick auf die Arbeitszeiten. Das stellt neue Anforderungen an die Führungskultur. Im Interview erklärt Prof. Dr. Bernhard Badura von der Universität Bielefeld, warum in den Chefetagen im Interesse aller schnell ein Umdenken einsetzen sollte.


Herr Badura, erklären Sie doch zunächst: Warum sollten wir uns mehr mit dem Thema Führungskultur auseinandersetzen?

Prof. Dr. Bernhard Badura: Schlechte Führung wirkt sich stark auf die Gesundheit der Beschäftigten aus. Durch die Unternehmer-Brille betrachtet verursacht das zum einen hohe Kosten. Gar nicht mal wegen der Fehlzeiten, die sind in Deutschland auf einem relativ niedrigen Niveau. Der entscheidende Faktor ist der Mensch, der da ist, aber aufgrund psychischer Beeinträchtigungen nicht so gut arbeitet, wie er eigentlich könnte. Der durchschnittliche Verlust für ein Unternehmen liegt hier bei 10 bis 15 Prozent der gesamten Personalkosten. Dann sind da natürlich noch die Kosten, die schlechte Führung mit Blick auf Arbeitsprozesse verursacht.


Wie ist es um die Führungskultur in deutschen Unternehmen bestellt?

Wir haben zu viel Hierarchie und zu wenig Mitarbeiterorientierung. Und es mangelt an Achtsamkeit für die Gesundheit der Beschäftigten. Das ist aber nur eine pauschale Beurteilung. Natürlich sieht es in jedem Unternehmen anders aus. Es gibt auch Arbeitgeber, die eine vorbildliche Führungskultur pflegen.


Wie ist dieses stark auf Hierarchie ausgerichtete System entstanden?

Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten aus unserem Gesellschaftsmodell heraus entwickelt. Unsere Gesellschaft war immer sehr stark obrigkeitsstaatlich organisiert und Hierarchie spielte stets eine große Rolle. Aber für die Steuerung von Unternehmen ist dieses System zunehmend dysfunktional. Es zerstört die Motivation der Beschäftigten. Es verringert den Informationsfluss von unten nach oben. Und es ist vor allem nicht geeignet, Kreativität zu fördern.


Kreativität wird in der digitalen Arbeitswelt weiter an Bedeutung gewinnen. Was bedeutet das für die Führungskultur?

Dass sie sich unbedingt wandeln muss, wollen Unternehmen die Potenziale der Digitalisierung auch wirklich realisieren. Die Beschäftigten, vor allem in den ITK-Berufen, arbeiten immer vernetzter, in Teams und an Projekten. Es kommt also auf Kooperation an und darauf, seinen Kopf richtig einzusetzen. Deswegen spielt das Befinden der Leute eine immer größere Rolle. Menschen, denen es nicht gut geht, sind weniger kreativ und weniger kommunikativ. Eventuell kommen sie auch bei ihren Kolleginnen und Kollegen nicht so gut an.


Wie sollte die neue Rolle der Chefs in solch kooperativen Prozesse aussehen?

Zunächst einmal müssen die Vorgesetzten lernen, sich aus der Kernarbeit herauszuhalten. Dazu gehört auch, die eigene Fachkompetenz einbringen zu wollen. Die ist bei den Mitarbeitern meist eh größer. Es ist jetzt die große Aufgabe der Führung, wegzukommen von einem Übermaß an Kontrolle und die Beschäftigten beispielsweise nicht mit sinnlosen Dokumentationspflichten zu belegen.


...und stattdessen?

Stattdessen müssen sie dafür sorgen, dass sich die Beschäftigten voll auf ihre Arbeit konzentrieren können. Sie müssen erkennen, wenn Teamprozesse nicht mehr funktionieren und dann die horizontale Kooperation wieder in Gang bringen. Und natürlich müssen sie erkennen, wenn sich Menschen nicht wohlfühlen. Das kann übrigens daran liegen, dass der Chef dem Mitarbeiter kein Feedback gibt, wenn dieser gute Arbeit leistet.


Und das sind neue Anforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt?

Zum Teil, ja. Die Ressource der Zukunft ist Kreativität. Sie wird durch soziale Kompetenz und die richtigen Rahmenbedingungen gefördert. Und bedenken Sie: Kreativität ist nicht nur eine Sache des Einzelnen. Viele Ideen kommen einem ja im Gespräch mit anderen beziehungsweise in Diskussionen. Dann, wenn wir unsere Gehirne vernetzen und sogenannte kollektive Intelligenz mobilisieren. Das altbekannte System der Hierarchie taugt dafür nicht. Die Mensch-Mensch-Schnittstelle wird zu der Herausforderung für gute Führung. Der neue Chef ist ein Moderator.


Stellt der digitale Wandel auch neue Anforderungen an die Beschäftigten?

Das System aus Anweisung und Kontrolle steckt natürlich nicht nur in den Köpfen der Führungskräfte, sondern häufig auch noch in den Köpfen der Beschäftigten. Es ist ein Lernprozess, der auf allen Ebenen einsetzen muss. Ich denke vor allem an unser Bildungssystem. In der digitalen Arbeitswelt spielt die Sozialkompetenz auch auf Seiten der Beschäftigten eine größere Rolle. Man hat einen direkten Draht zu den Kunden und muss sich öfter in neuen Teams zurechtfinden. Wie das geht, wird in Ausbildung und Studium noch zu wenig vermittelt.


Die Digitalisierung verändert nicht nur wie wir arbeiten, sondern auch wo. Viele Beschäftigte haben heute mit ihrem Laptop oder ihrem Tablet das Büro immer in der Tasche.

Hier müssen die Unternehmen die Möglichkeiten der Selbstorganisation stärken. Denn ob die Beschäftigten da sind oder nicht, kann nicht mehr entscheidend sein. Entscheidend sollte sein, dass Projekte zeitgerecht bearbeitet werden. Es ist unerheblich, ob das im Unternehmen, Zuhause oder im Café passiert. Wollen Unternehmen die Potenziale des mobilen Arbeitens nutzen, müssen sie weg von der Präsenzkultur, hin zu einer mitarbeiterorientierten Ergebniskultur.


Damit könnten sich Unternehmen wahrscheinlich auch attraktiver für Fachkräfte machen?

Gerade die jüngere Generation achtet heute nicht mehr nur auf die Bezahlung. Sondern auch auf die sogenannten immateriellen Faktoren: Ist das Klima gut? Komme ich mit den Kollegen klar? Haben ich verständnisvolle Führungskräfte, die sich fair verhalten? Wie steht es mit der Work-Life-Balance? Das sind Fragen, die neben dem Gehalt immer mehr an Bedeutung gewinnen. Vor allem in großen Unternehmen ist das häufig noch nicht angekommen. Dabei kann ein schlechtes Rating schnell zum Bumerang werden.


Brauchen wir Regeln oder müssen die Unternehmen den Wandel selbst schaffen?

Eine Studie der „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ besagt, dass sich 77 Prozent der Führungskräfte einen Wandel in der Kultur hin zu mehr Vertrauen, Kooperation und Werteorientierung wünschen. Man sollte meinen, sie hätten es selbst in der Hand. Das zeigt unter anderem: Man braucht Regeln, aber auch neue Anreize. Unternehmen, die in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter investieren, sollten steuerlich belohnt werden. Durch Anreize ließen sich wohl mehr Arbeitgeber zum Handeln bewegen. Da die Sozialversicherungen entlastet würden, wäre auch für einen Ausgleich gesorgt. Im Übrigen fände ich es gut, würde sich auch die IG Metall bei der Politik für solche Anreize einsetzen.


Lässt sich überhaupt messen, ob ein Unternehmen sinnvoll in die Gesundheit der Mitarbeiter investiert?

Dafür braucht es natürlich Kennzahlen. Ein wichtiges Kriterium ist: wird regelmäßig eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, die auch Fragen zur Gesundheit enthält. Außerdem muss geklärt werden, wie es um das Humanpotenzial bestellt ist. Wie steht es um das Sozialpotenzial, wie um das Arbeitsklima? Wie werden Menschen auf ihre Führungspositionen vorbereitet? Gibt es so etwas wie einen Führerschein für Führungskräfte? Die Unternehmen müssen befähigt werden, nicht nur auf die materiellen Ziele zu schauen. Dass man so etwas sinnvoll erfassen kann und auch wie, darüber besteht unter Experten weitestgehend Einigkeit. Keiner kann sich mehr damit rausreden, es sei nicht umzusetzen.

In ihrer Anti-Stress-Verordnung fordert die IG Metall von Vorgesetzten für die Mitarbeiterführung erforderliche Qualifikationen ein, dass die Beschäftigten in Planungs-, Kommunikations- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden, ihnen Wertschätzung zuteil wird und Perspektiven durch berufliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet werden. Denn von einem guten Betriebsklima profitieren Beschäftigte wie Unternehmen.


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