23. Juli 2009
Volkswagen
Die historische Verantwortung für VW
Das Volkswagengesetz und die Mitbestimmung bei Volkswagen stehen in der Diskussion. So lautete eine Forderung, der Wolfsburger Autohersteller solle ein „normales Unternehmen“ sein.

Spätestens seit der Streit zwischen Wendelin Wiedeking, dem Vorstandsvorsitzenden der Porsche AG, und Bernd Osterloh, dem Betriebsratsvorsitzenden der Volkswagen AG, Schlagzeilen macht, ist auch die Debatte um Aufgaben und Grenzen der Mitbestimmung beim niedersächsischen Autobauer neu entbrannt. Immer wieder heißt es dabei, dass das VW-Gesetz mit seiner erweiterten Mitbestimmung und der Beteiligung des Landes Niedersachsen den Automobilkonzern daran hindert, ein „normales“ Unternehmen zu werden.



Die Mittel zum Aufbau des VW-Werkes stammen aus enteignetem Gewerkschaftsvermögen

Solche Aussagen sind erschreckend, denn sie zeugen von einer historischen Ahnungslosigkeit, die nachdenklich macht. Die erweiterte Mitbestimmung bei Volkswagen ist nämlich nicht nur Ausdruck des hohen Organisationsgrades der IG Metall – weit mehr als 90 Prozent aller Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder – vielmehr ist sie auch das Ergebnis einer schmerzhaften Geschichte: Die Mittel zum Aufbau des Volkswagenwerkes stammten aus dem von den Nazis zuerst beschlagnahmten und 1937 enteigneten Gewerkschaftsvermögen. Wer dies unterschlägt oder verkennt, verkennt den Charakter des Werkes, seine Identität und seine Erfolgsfaktoren.



Blicken wir zurück

Das Stammkapital zur Gründung der „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH“ in Höhe von 50 Millionen Reichsmark stellte Ende der dreißiger Jahre die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Nachdem die etablierten Automobilfabriken die Produktion eines preisgünstigen „Volkswagens“ als unrentabel ablehnten, wurde ein spezielles Gesetz erlassen, das der DAF einen zügigen Verkauf der am 2. Mai 1933 von SA und SS besetzten und beschlagnahmten Gewerkschaftshäuser ermöglichte. In späteren Jahren der Nazi-Diktatur wurden weitere 80 Millionen Reichsmark aus den gleichen Quellen für Volkswagen zur Verfügung gestellt. Nach dem Krieg wurde das Werk zunächst unter britischer Regie betrieben, doch über seine Zukunft herrschte Unklarheit. Schließlich entschied man sich gegen eine Demontage und für eine Fortführung in deutscher Hand. Dabei war der Besatzungsmacht die besondere Herkunft des Werkes durchaus bewusst, und das Stammkapital der Volkswagen GmbH wurde in öffentlichen Besitz gegeben. Ziel der britischen Militärregierung war es, einen „demokratisch kontrollierten Industriebetrieb“ zu schaffen, der dem Interesse des gesamten deutschen Volkes dienen sollte und in dem Arbeit und Kapital gleichberechtigt sein sollten. Dem Land Niedersachsen wurde im Oktober 1949 die Treuhänderschaft für das Werk mit der Auflage übertragen, die Eigentumsrechte gemeinsam mit dem Bund auszuüben. Gewerkschaften und die anderen Bundesländer sollten einen starken Einfluss erhalten. Nur unter diesen Bedingungen verzichtete der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) darauf, seine Eigentumsrechte am Werk einzuklagen. Hinzu kam, dass der Betriebsrat bereits im Mai 1947 mit dem Treuhänder Hermann Münch eine Betriebsvereinbarung über die betriebliche Mitbestimmung abgeschlossen hatte, in der festgehalten wurde, dass beispielsweise die Erweiterung, Einschränkung und Stilllegung des Betriebes oder die Aufgabe von Produktionszweigen nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Betriebsrates erfolgen könne.

In den Folgejahren entwickelte sich das Volkswagenwerk zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders. Trotz seiner Außenseiterposition und trotz der verkehrstechnischen Randlage arbeitet sich VW innerhalb nur weniger Jahre an die Spitze der größten Automobilproduzenten Europas. 1962 beschäftigt der Gesamtkonzern bereits 69 000 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 6,4 Milliarden DM.



Besonderes Gewicht für Öffentliche Hand und Arbeitnehmer

1960 wurde die GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, 60 Prozent des Kapitals wurden als Volksaktien überwiegend an Kleinaktionäre abgegeben. Je 20 Prozent hielten der Bund und das Land Niedersachsen. Um die Gemeinwohlorientierung aufrechtzuerhalten, wurde im VW-Gesetz, das am 21. Juli 1960 Rechtskraft erhielt, festgehalten, dass der Stimmrechtsanteil in der Hauptversammlung auf höchstens 20 Prozent begrenzt ist. Somit war klar, dass Entscheidungen nicht gegen den Willen der öffentlichen Hand fallen konnten. Außerdem sollte die Errichtung oder Verlagerung von Produktionsstätten nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat möglich sein. Damit erhielten die Arbeitnehmer in dieser Frage ein besonderes Gewicht. Für Fusionen oder die Auflösung der Gesellschaft wurde eine Mehrheit von 80 Prozent des stimmberechtigten Kapitals notwendig, das Aktiengesetz sieht lediglich 75 Prozent vor.



Gute Rendite und nachhaltige Beschäftigung

Damit wird klar, dass sich das unternehmerische Leitbild von Volkswagen, wonach eine gute Rendite und eine nachhaltige Beschäftigung zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, aus seiner besonderen Geschichte ergibt. Dieses Modell hat Volkswagen stark gemacht, es ist die Basis für die enorme Vitalität des Unternehmens, das aus jeder kritischen Situation – und welcher Autobauer ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht in Krisen geraten – immer wieder neue innovative Auswege fand.



Historische Verantwortung

Jedem, der Anteile an diesem Unternehmen erwirbt, muss bewusst sein, er übernimmt auch eine historische Verantwortung, die in einer erweiterten Mitbestimmung und im VW-Gesetz ihren Niederschlag findet. Sie sind keine Bürde, sondern das Erfolgsrezept dieses Weltkonzerns und Teil seiner Identität. In diesem Sinne ist der niedersächsische Autobauer ein besonderes Unternehmen, dessen Modell beispielgebend für eine verantwortliche Ökonomie im globalen Wettbewerb sein kann. Die Marktwirtschaft leidet nicht an einem Zuviel, sondern einem Zuwenig an Mitbestimmung. Mit einem VW-Gesetz und dessen Beschränkungen bei Standortverlagerungen hätten beispielsweise weder AEG/Electrolux in Nürnberg noch Nokia in Bochum dem Shareholder-Kapitalismus geopfert werden müssen.

Volkswagen ist schon ein normales Unternehmen, es hat jedoch eine besondere Geschichte. Wer indes eine „Normalität“ proklamiert, die diese besondere Geschichte und die daraus erwachsene, erweiterte Mitbestimmung und das VW-Gesetz in Frage stellt, der darf sich nicht wundern, wenn ihm ein kalter Wind der Arbeitnehmer entgegenbläst. Schließlich ist es auch ihr Unternehmen.


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