Interview mit Ralf Kutzner zum „Tag des Handwerks“
„Fachkräftemangel ist der Bumerang für Tarifflucht“

Das Handwerk leidet unter mangelnder Attraktivität, vor allem bei jungen Gesellen. „Tarifbindung, Gute Arbeit und starke Betriebsräte sind das A und O, um die Branche wieder stark zu machen“, sagt IG Metall-Vorstandsmitglied Ralf Kutzner im Interview zum morgigen „Tag des Handwerks“.

16. September 201616. 9. 2016


Viele gut ausgebildete Handwerkerinnen und Handwerker verlassen die Branche und wandern in die Industrie ab. Was sind aus Sicht der IG Metall die Gründe für diese Entwicklung?

Ralf Kutzner: Das Handwerk leidet unter Abwanderung. In den handwerklichen Metall- und Elektroberufen inklusive der Kfz-Betriebe bleiben nur ein Drittel der jungen Gesellinnen und Gesellen. 35 Prozent wechseln in die Industrie, der Rest in andere Bereiche. Nach einer Untersuchung des Bundeswirtschaftsministeriums beklagen fast 50 Prozent der Betriebe einen starken Fachkräftemangel. 37 Prozent stellen einen leichten Mangel fest.

Sind die Beschäftigten nicht zufrieden mit den Arbeitsbedingungen im Handwerk?

Teils, teils. Handwerksbeschäftigte wissen, was ihre Arbeit wert ist, und die meisten sind stolz auf ihr Schaffen. 81 Prozent der Handwerksbeschäftigten identifizieren sich in hohem Maße mit ihrer Arbeit. Aber nur 10 Prozent der Handwerksbeschäftigten sind der Meinung, dass sie Gute Arbeit haben. Die zentrale Forderung der IG Metall lautet daher, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Wo besteht Handlungsbedarf?

Viele Arbeitgeber im Handwerk sind aus der Tarifbindung ausgestiegen. Viele Innungen und Verbände haben ihren Mitgliedern ersatzweise sogenannte Mitgliedschaften ohne Tarifbindung (OT) angeboten. Durch die Weigerung, Tariflöhne zu zahlen, hat das Handwerk stark an Attraktivität eingebüßt. Der viel beklagte Mangel an Nachwuchs ist also direkte Folge dieser jahrelangen Tarifflucht. Die Tarifverweigerung ist wie ein Bumerang, der jetzt als Fachkräftemangel zurück kommt. Mit der Tarifflucht muss endlich Schluss sein. Einer Branche ohne Tarifbindung fehlt der ordnungspolitische Rahmen. Folge der Tarifverweigerung ist ein ruinöser Unterbietungswettbewerb. Damit geht das Image des Handwerks den Bach runter.

Wie kann man junge Menschen für eine Karriere im Handwerk begeistern?

Gute Arbeitsbedingungen, verbindliche Tarifverträge und Mitbestimmungsstrukturen sind das A und O. Beschäftigte mit Tarifvertrag verdienen deutlich mehr und haben bessere Rahmenbedingungen als Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Unternehmen. Zum Vergleich: Das Bruttomonatseinkommen von Kfz-Mechanikern in nicht tarifgebundenen Betrieben beträgt durchschnittlich 2327 Euro ohne Sonderzahlungen bei einer 38-Stunden-Woche. In tarifgebundenen Betrieben liegt ihr Einkommen dagegen mit 2860 Euro 23 Prozent darüber. Zum „Tag des Handwerks“ 2016 unter dem Motto „Die Zukunft ist unsere Baustelle“ wollen wir diese Probleme gemeinsam anpacken, um Beschäftigten und Betrieben eine Perspektive zu geben. Die IG Metall steht im Handwerk für gute Arbeit und starke Tarifverträge.

Gibt es dafür gute Beispiele?

Ja, die gibt es. Ein gewichtiges Argument für die Mitgliedschaft ist gute Tarifarbeit der IG Metall. Dabei geht es nicht nur um mehr Geld, sondern auch um die Rahmenbedingungen. Wegweisend ist etwa der Rahmentarifvertrag Demografie, den die IG Metall Niedersachsen für die Beschäftigten in Betrieben der Kfz-Innungen Niedersachsen-Mitte und Osnabrück durchgesetzt hat. Er enthält zahlreiche Regelungen zur Bewältigung des demografischen Wandels. Dabei geht es um den Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung, um alternsgerechte Arbeitsbedingungen und den geregelten Ausstieg älterer Beschäftigter aus dem Berufsleben. Der Tarifvertrag sorgt zudem für Chancen für die junge Generation, etwa durch Regelungen zur Förderung benachteiligter Jugendlicher, für dual Studierende oder auch für alle Beschäftigte, die eine Auszeit vom Job, ein Sabbatical, nehmen wollen.

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