IG Metall fordert Aus für die Riester-Rente
Riester-Rente als Sackgasse der deutschen Sozialpolitik

Finanzminister Schäubles Idee, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, hält IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban für „absurd und töricht“. Der Gewerkschafter bringt eine andere Rentenreform ins Spiel.

27. April 201627. 4. 2016


Die IG Metall erteilt einer weiteren Verlängerung der Lebensarbeitszeit eine klare Absage. „Sollte eine Partei so töricht sein, mit der Rente erst ab 70 in den Wahlkampf zu ziehen, wird sie die Gewerkschaften, allen voran die IG Metall, zum entschiedenen Gegner haben“, kündigt IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban an.

Deutschlands größte Industriegewerkschaft will die Rente mit einer großen Kampagne zum Wahlkampfthema machen. Die Gewerkschaft fordert eine Abschaffung der Riester-Rente, die einst von ihrem Ex-Vizechef Walter Riester nach seinem Wechsel in das Amt des Sozialministers eingeführt worden war. „Die Riester-Rente hat sich als Sackgasse der deutschen Sozialpolitik herausgestellt“, erklärt Urban.

Die frei werdenden Mittel will die IG Metall in die Mütterrente und die Stärkung der Betriebsrente stecken. „Wir brauchen eine grundsätzliche Kurskorrektur in der Rentenversicherung“, erklärt der Gewerkschaftler. Das Rentenniveau müsse wieder angehoben werden – und zwar auf das Niveau vor den „Kürzungsreformen“ der rot-grünen Regierung zum Beginn des Jahrtausends.

Herr Urban, ist die Riester-Rente gescheitert, wie CSU-Chef Seehofer sagt?
Hans-Jürgen Urban: Die aktuelle Debatte über die Zukunft der Rente sehen wir als gewerkschaftlichen Erfolg, weil es uns gelungen ist, den Reformbedarf in der Rentenversicherung öffentlich breit zu thematisieren. Die These von Seehofer ist richtig, auch wenn die Einsicht etwas spät kommt – aber besser spät als nie. Die Riester-Rente hat sich als Sackgasse der deutschen Sozialpolitik herausgestellt, sie liefert nicht den Beitrag, der ihr zugedacht war, nämlich auf breiter Flur und insbesondere bei den niedrigen Einkommen die Rentenlücken zu schließen, die der Gesetzgeber in der gesetzlichen Rente aufgerissen hat.

Ausgedacht hat sich diese „Sackgasse“ der ehemalige IG-Metall-Vize Walter Riester. Er findet die aktuelle Debatte über die Privatzusatzvorsorge „saudumm“, da sie die Menschen verunsichere.
Hans-Jürgen Urban: Nun ja, die Fakten sprechen für sich. Das muss ich nicht weiter kommentieren. Wir haben damals schon gewarnt! Es gibt ein strukturelles Problem bei dem Versuch, Lücken in der gesetzlichen Rente mit privater Vorsorge zu schließen: Diejenigen, die aufgrund von niedrigen Einkommen oder von Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie besondere Probleme in der Rentenversicherung haben, verfügen auch nicht über die Einkommen, um intensiv in die Privatvorsorge einzusteigen. Leider haben wir recht behalten. Die Privatvorsorge wie auch die betriebliche Vorsorge können zwar als Zusatz „on top“ auf die Rente kommen, die Basis muss aber die gesetzliche Rentenversicherung liefern.

Wie sieht denn die Alternative aus? Die Riester-Rente abschaffen und eine Mindestrente für arme Rentner einführen?
Hans-Jürgen Urban: Es spricht viel dafür, die Riester-Rente für Neuzugänge auslaufen zu lassen. Diejenigen, die privat vorgesorgt haben, dürfen wir aber nicht hängen lassen. Sie müssen für ihre Beiträge auch etwas zurückbekommen. Aber eine Begründung für eine weitere milliardenschwere Subventionierung aus öffentlichen Geldern gibt es nicht mehr.

Heißt das, Sie wollen die Zuschläge und Steuererleichterungen für Riester-Verträge streichen?
Hans-Jürgen Urban: Nein, für die bereits Versicherten müssen die Bedingungen verlässlich bleiben, und sie müssen weiterhin auch die zugesagte Unterstützung bekommen. Aber das wächst sich ja aus, wenn keine Neuverträge hinzukommen. Die Riester-Rente ist gescheitert, aber wir dürfen diejenigen nicht bestrafen, die aus Angst vor Altersarmut den Weg gegangen sind, den die Politik ihnen empfohlen hat. Wir können uns aber vorstellen, die Subventionierung Stück für Stück herunterzufahren, beginnend bei den hohen Einkommen.

Da freut sich Finanzminister Schäuble, wenn er Zuschläge und Steuernachlässe sparen kann.
Hans-Jürgen Urban: Diese frei werdenden Mittel dürfen nicht vom Finanzminister einkassiert werden, damit er an seiner absurden, wirtschafts- und sozialpolitisch kontraproduktiven Idee der schwarzen Null auch in Krisenzeiten festhalten kann. Das muss man verhindern. Wir würden einen Teil in die Ausgaben für die Mütterrente stecken, die ja als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vom Steuerzahler und nicht vom Beitragszahler finanziert werden sollte. Außerdem müsste die betriebliche Altersvorsorge, die zweite Säule der Alterssicherung, damit gestärkt werden.

Die Koalition plant eine Lebensleistungsrente, mit der die Altersbezüge von armen Rentnern aufgestockt werden soll, damit sie nicht in Hartz IV fallen. Ein guter Plan?
Hans-Jürgen Urban: Wir halten dieses Projekt, wie es im Koalitionsvertrag skizziert ist, nicht für sinnvoll. Richtig ist der Gedanke, für diejenigen, die von Altersarmut bedroht sind, eine besondere Vorkehrung zu treffen. Genau das wird aber mit diesem Konzept nicht gelingen. So, wie es bisher aussieht, sind die Voraussetzung für die Lebensleistungsrente mindestens 40 Beitragsjahre und private Vorsorge. Das wird dazu führen, dass viele mit Minirenten diese Aufstockung nicht bekommen werden, weil sie nicht so lange in die Rentenkasse einzahlen und noch privat vorsorgen konnten. Das ist doch absurd!

Derzeit sind nur drei Prozent der Rentner auf Grundsicherung angewiesen. Wird das Problem der Altersarmut überschätzt?
Hans-Jürgen Urban: Die Rentner von heute haben ganz andere Erwerbsbiografien als die Rentner von morgen. Die Zahlen werden erheblich steigen. Die größte Sorge müssen wir uns um die Solo-Selbstständigen machen, ihr Armutsrisiko ist enorm hoch. Aber auch Erwerbsgeminderte, Langzeitarbeitslose und Alleinerziehende haben große Lücken in der Erwerbsbiografie. Es geht aber nicht nur um Armutsvermeidung, wir brauchen eine grundsätzliche Kurskorrektur in der Rentenversicherung. Das Rentenniveau muss generell angehoben werden, für alle Rentner, auch oberhalb der Armutsschwelle.

Das heißt, Sie wollen die gesamte rot-grüne Rentenreform wieder zurückdrehen?
Hans-Jürgen Urban: Wir wollen in der Tat auf ein Sicherungsniveau, das wir vor den Kürzungsreformen hatten. In einem ersten Schritt muss die Absenkung sofort gestoppt werden, dann müssen wir mit der jungen Generation eine Diskussion darüber führen, wie stark das Rentenniveau in den nächsten Jahren steigen soll. Was ist eine sinnvolle Balance zwischen einem angemessenen Rentenniveau und akzeptablen Beitragssätzen?

Vor der Reform lag das Rentenniveau bei mehr als 50 Prozent eines Durchschnittseinkommens. Um das zu finanzieren, müssten die Beiträge auf mehr als 24 Prozent klettern. Das werden die jungen Beitragszahler wohl kaum mitmachen.
Hans-Jürgen Urban: Die jungen Menschen, die einzahlen, bauen doch auch für sich selber Rentenanwartschaften auf. Und außerdem ist die Anhebung der Beiträge in der Sozialversicherung für die Arbeitnehmer allemal die bessere Variante. Denn die müssen zur Hälfte von den Arbeitgebern mitbezahlt werden. Für den Arbeitnehmer sind das in diesem Beispiel dann nur noch 12 Prozent. Bei einer zusätzlichen privaten Vorsorge kommt er so billig nicht weg, zumal die Verwaltungskosten viel höher als in der gesetzlichen Rentenversicherung sind.

Bringt die große Koalition vor der Wahl noch eine Reform zustande, oder wird die Rente zum Wahlkampfthema?
Hans-Jürgen Urban: Es ist ein Thema für den Wahlkampf, und das sehen wir positiv. Wir planen eine große Kampagne und werden somit dafür sorgen. Wir werden unsere Vorschläge bei der Formulierung der Wahlprogramme mit einbringen. Die Erwartungen bei unseren Mitgliedern und in der Bevölkerung sind groß. Das Thema Rente ist für die Menschen ein Top-Thema. Die Politik sollte die Erwartungen und auch die Ängste der Menschen ernst nehmen und zeigen, dass sie zu konstruktive Lösungen fähig ist.

Finanzminister Schäuble hat jetzt eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ins Spiel gebracht. Ist das auch ein Wahlkampfthema für die Gewerkschaften?
Hans-Jürgen Urban: Schäubles Vorschlag ist absurd. Er ist kein tauglicher Lösungsvorschlag, sondern ein Programm zur Steigerung von Politikverdrossenheit. Niemand, der den Leistungsdruck im heutigen Turbo-Kapitalismus kennt, kann davon ausgehen, dass die Menschen flächendeckend bis 67, 70 oder länger arbeiten können. Nicht an den Bändern der Autoindustrie, nicht an den Hochöfen der Stahlproduktion und auch nicht in den Büros des Maschinenbaus. Am Ende läuft das doch wieder auf Rentenkürzungen hinaus. Und das ist völlig indiskutabel! Ich kann Herrn Schäuble und allen Verantwortlichen in der Rentenpolitik nur raten, die Menschen nicht weiter zu verunsichern und Politikvorschläge zu machen, die zu ihrer Lebenswirklichkeit passen. Sollte eine Partei so töricht sein, mit der Rente erst ab 70 in den Wahlkampf zu ziehen, wird sie die Gewerkschaften, allen voran die IG Metall, zum entschiedenen Gegner haben.

Interview: DIE WELT vom 25.04.2016, Autor: Stefan von Borstel

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