Digitalgipfel in Nürnberg
„Wir brauchen europäische Alternativen zu Google & Co.“

Die Digitalisierung verändert unsere Art, zu arbeiten. Im Interview spricht Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, über den digitalen Kapitalismus, europäische Alternativen zu großen Digitalkonzernen aus den USA und China und die Notwendigkeit einer öffentlichen digitalen Infrastruktur.

30. November 201830. 11. 2018


Alle reden über Digitalisierung. Welche Rolle spielt da überhaupt noch die Industrie?

Jörg Hofmann: Eine ganz gewaltige! Industrie ist der stabile Kern unserer Volkswirtschaft. Man muss nur einmal auf die Zahlen schauen: Wer darauf verzichtet, verzichtet auf mehr als 25 Prozent der gesamten Wertschöpfung. Hier sind über 20 Prozent aller Beschäftigten tätig. Dies gilt es zu sichern. Die Digitalisierung der Produkte und Prozesse verlangt, dass nicht nur die Hardware, sondern auch die Software Teil der Wertschöpfung sind. Und dies gilt im gleichen Umfang für die Bereitstellung und Betrieb der digitalen Infrastruktur.

 

Jörg Hofmann | Erster Vorsitzender der IG Metall

Jörg Hofmann | Erster Vorsitzender der IG Metall (Foto: Frank Rumpenhorst)

 

Du hast auf dem Transformationskongress auf Mängel in der digitalen Infrastruktur hingewiesen. Warum ist die digitale Infrastruktur so wesentlich?

Diese hat gleich mehrfache Relevanz. Die Flächendeckung mit Glasfasern und der Ausbau der Mobilnetzversorgung sind wichtig. Der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz und seine Leistungsfähigkeit ist immer mehr eine wesentliche Voraussetzung zur Teilhabe gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinander. Und autonomes Fahren, oder Industrie 4.0 verlangt die Leistungsfähigkeit der neuen, schnellen 5G-Netze.

Dies ist eine Seite der digitalen Infrastruktur, Doch genauso relevant ist der Umgang mit riesigen Datenmengen und trainierten Algorithmen, die Grundlage für Methoden der künstlichen Intelligenz. Diese Anwendungen bauen auf Cloud-Lösungen. Plattformen für die Cloud, Big Data und Machine Learning Technologien sind Teil neuer Produktlösungen, wie dem autonomen Fahren, aber führen auch zur Automatisierung von geistigen Aufgaben.


Wer stellt diese Lösungen heute bereit?

Darin liegt ein zentrales Problem: Dies ist heute ein Monopol von amerikanischen Unternehmen, wie Google Cloud, Microsoft Azure, Amazon Web Services, oder chinesischen Anbietern, wie Alibaba, die den Markt beherrschen. Sie haben nicht nur in riesige Rechenzentren investiert, sondern besitzen auch das Wissen, diese digitale Infrastruktur als Dienstleistung anzubieten. Und davon ist heute die gesamte deutsche und europäische Industrie abhängig. Ob Daimler, BMW oder VW in autonomes Fahren investieren, dahinter steht jeweils ein amerikanischer Dienstleister. Und selbst Siemens nutzt für seine Industrieplattform Mindsphere die Dienste von Amazon.


Das bedeutet, die deutsche Industrie ist von amerikanischen Cloudanbietern abhängig?

Ja, das ist so. Und dies wirft mehrfach Fragen auf: Datensouveränität besteht nur bedingt und Datensicherheit und Datenschutz liegen nicht in der eigenen Hand. Zudem ist der Zugang zu dieser digitalen Infrastruktur nicht für alle gleich. Gerade kleine und mittlere Unternehmen haben nicht den gleichen Marktzugang und sind mit höheren Kosten konfrontiert.

Die Gefahr besteht, dass je wichtiger Big-Data und KI werden, hier neben wirtschaftlichen Abhängigkeiten auch politische Abhängigkeiten entstehen. Und: Während heimische Firmen mit durchschnittlich 23 Prozent Steuerbelastung ihrer Erträge zur Finanzierung der Gesellschaft beitragen, zahlen diese IT-Giganten gerade 9,5 Prozent und manche gar nichts.

Wenn wir wollen, dass die Digitalprofite in gute Arbeit hier investiert werden, wenn es Ziel ist, auch in Zukunft die gesamte Wertschöpfung in Deutschland und Europa zu erhalten, dann braucht es europäische Alternativen zu Google, Microsoft, Amazon und Alibaba. Alternativen, die nicht nach den Profitgesetzen, sondern nach den Regeln allgemeiner Zugangsrechte, Transparenz und Datensicherheit organisiert sind.


Was wären solche Alternativen?

Wir brauchen eine öffentlich regulierte digitale Infrastruktur für Cloud-Lösungen. Man könnte etwa analog zum Stromnetz eigene Betreiberorganisationen ausschreiben und etablieren, mit dem Ziel digitaler Souveränität. Somit kann eine von der öffentlichen Hand regulierte Lösung geschaffen werden, die auch kleineren Unternehmen zu fairen Konditionen Zugang ermöglicht.

Wichtig ist auch, dass damit Fragen des Dateneigentums, des Datenschutzes und der Datensicherheit viel wirksamer gelöst werden können.


In Nürnberg findet nun der Digitalgipfel mit dem Schwerpunkt „künstliche Intelligenz“ statt. Wird dies dort Thema sein? Und was bewegt die IG Metall weiter beim Stichwort „künstliche Intelligenz“?

Ja, dies wird dort diskutiert werden. In der Industrieplattform 4.0, in der die IG Metall Teil der Leitung ist, haben wir diese Themen nicht nur angesprochen, sondern viel Wert auf die Forschung und Entwicklung einer offenen digitalen Infrastruktur gelegt, die auch unseren Ansprüchen auf Datensouveränität und Datensicherheit genügt. Aber jetzt steht staatliches Handeln an.

Aber natürlich bewegen uns auch als IG Metall die Automatisierungspotentiale, die Künstliche Intelligenz in sich birgt. Das IAB, das Wissenschaftsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit hat gerade eine Studie veröffentlicht, nachdem die größte Gefahr des Arbeitsplatzverlustes durch Digitalisierung bei Arbeitsaufgaben mit sich wiederholenden Denkaufgaben besteht. Das trifft etwa die Buchhaltung, Einkauf und Vertrieb ― also hunderttausende von Beschäftigten auch in unseren Branchen.

Hier müssen wir uns rechtzeitig einmischen, Perspektiven für die dort Beschäftigten einfordern. Wir haben uns damit intensiv auf dem Transformationskongress der IG Metall in Bonn beschäftigt und werden die Frage nach Automatisierungsrisiken durch künstliche Intelligenz in den Betrieben auch mit einer Transformationslandkarte bearbeiten, die wir für viele Betriebe im ersten Halbjahr 2019 erarbeiten wollen.

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