Demografischer Wandel beschäftigt Stahlkonferenz der IG Metall
Weiterdenken bei alternsgerechter Arbeit

Keine Frage – die Jobs in der Stahlindustrie haben es in sich. Damit die Branche zukunftsfähig bleibt und um den demografischen Wandel zu meistern, braucht es einen ganzheitlichen Ansatz – so eine wichtige Erkenntnis auf der Stahlkonferenz der IG Metall.


Flexible Arbeitszeitmodelle und Rentenübergänge sowie Nachwuchs- und Frauenförderung wären ein solcher. Um zukunftsfähig zu bleiben, muss man sich auf den Hütten mehr Gedanken um flexible Arbeitszeitmodelle und Rentenübergänge, gezielte Nachwuchs- und Frauenförderung, Modelle für lebenslanges Lernen, ein Arbeitsplatzkataster und klugen Transfer von Know-How machen ― waren sich die Referenten in Dortmund einig. Dort war der demografische Wandel das Hauptanliegen der etwa 130 Metallerinnen und Metaller, darunter viele Betriebsräte, die sich auf Stahlkonferenz der IG Metall zusammengefunden hatten. Schon wieder demografischer Wandel? Ist dazu nicht bereits alles gesagt und in den Unternehmen längst alles Nötige getan worden? Jens Peter Loock ahnte, was wohl vielen seiner Zuhörerinnen und Zuhörer bei der Stahlkonferenz in Dortmund durch den Kopf ging, als er sein Referat auf der Stahlkonferenz begann. Eindringlich warnte der Leiter für Personalführung und Arbeitswirtschaft der Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH (HKM) davor, das Thema zu unterschätzen.

 

„Jobmaps“ als Wissensabfluss und Vermächtnis

„Demografischer Wandel ist nach wie vor die Herausforderung, wir können unsere Augen nicht davor verschließen“, betonte Loock. Wie drängend das Problem ist, verdeutlichte er am Beispiel der HKM mit dramatischen Zahlen. „Mehr als ein Drittel unserer Belegschaft wird uns altersbedingt bis 2030 verlassen“, sagte der Manager. Seit 2008 sind 560 erfahrene Mitarbeiter in Altersteilzeit oder Rente gegangen, bis 2020 folgen weitere 380. Damit dem Unternehmen mit den Menschen nicht auch ihr ganzes Wissen verloren geht, ließ sich die HKM etwas einfallen.

In strukturierten Interviews befragte das Unternehmen seine angehenden Ruheständler und erstellte so „Jobmaps“ – große Schaubilder für die Übergabe des Wissens an ihre Nachfolger und als eine Art „Vermächtnis“ für die scheidenden Mitarbeiter. So habe man den „Wissensabfluss von 20 000 Jahren“ in den letzten fünf Jahren gut gemeistert, sagte Look.

Eine ganzheitliche Sichtweise sei der Königsweg, mit einer alternden Belegschaft umzugehen, befand der Personalchef. Die Jobmap ist ein kleiner Teil davon, aber viele andere Puzzleteile gehören ebenfalls dazu. Darunter die Sicherstellung einer leistungsfähigen Stammbelegschaft, die bei Bedarf punktuell mit Leiharbeitern verstärkt wird und die gezielte Frauenförderung. „Wir ignorieren die Hälfte der Bevölkerung, das können wir uns nicht mehr leisten“, sagte Loock. Nur acht Prozent der HKM-Stammbelegschaft sei bisher weiblich, darunter gebe es jetzt aber immerhin die erste Kranfahrerin im Unternehmen.

Das Werben um Azubis, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Unterstützung bei Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Eltern oder Lebensarbeitszeitkonten sowie das Angebot eines „beständigen“ Jobs sind weitere Faktoren, mit denen sich die HKM als attraktiver Arbeitgeber präsentieren und die Lücken füllen möchte, die durch den Weggang der älteren Beschäftigten gerissen werden. Auch den gesunden Übergang in die Rente müsse das Unternehmen sichern und Mitarbeiter so lange wie möglich auf der Hütte halten: „Wir schauen, welche neuen Möglichkeiten es zum Einsatz von eingeschränkten Mitarbeitern im Werk gibt.“

Wie man Arbeitsplätze in Betrieben der Eisen- und Stahlindustrie ganz konkret alternsgerecht gestalten kann, stellte Hans Szymanski vom Berufsforschungs- und Beratungsinstitut für interdisziplinäre Technikgestaltung e.V. (BIT) in Bochum vor. Er präsentierte einen neuen Handlungsleitfaden mit dem zentralen Element eines Arbeitsplatzkatasters, das einen Überblick über die Belastungs- und Anforderungsprofile einer Abteilung oder eines Betriebes gibt. Diese Toolbox soll Wissen sammeln und fortlaufend aktuelle Praxisbeispiele zeigen. Sie gibt es zum Herunterladen unter www.ergo-stahl.de.
 

„Gute Tonne“ als Lerninsel

Wie Betriebe auch mit alternden Belegschaften ganz nah an der Praxis ihre Fortbildungen in Teams organisieren und Prozesse fortlaufend verbessern können, berichtete Felix Osterheider, Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte GmbH (GMH). Mit dem Projekt „Gute Tonne“, das vom Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert wurde, probierte das Unternehmen über drei Jahre aus, mit welchen praxisnahen Methoden sich die Mitarbeiter in die Prozessentwicklung einbinden lassen, wie man die Arbeit vereinfachen und optimieren kann, die Qualität der Produkte sich verbessern lässt und auf welche Art sich das Wissen in der Belegschaft bereichsübergreifend nutzen und weitergeben lässt.

Das Ziel: Arbeitsplatz- und Standortsicherung durch mehr Transparenz, Weiterentwicklung und Austausch innerhalt des Unternehmens. Mit teilweise unorthodoxen Methoden sorgte das Projekt bei GMH für eine neue Lernkultur. So finden Schulungen jetzt teilweise in „Lerninseln“ statt, die direkt an den Arbeitsplätzen platziert sind. Es gibt keinen stundenlangen Input sondern kurze Lerneinheiten am Anfang einer Schicht mit hohem Praxisbezug. „Die gute Tonne hat sich bei uns bewährt“, sagte Osterheider.

Axel Gerntke vom IG Metall-Vorstand stellte die „Eckpunkte einer solidarischen Rentenpolitik“ vor. Statt einer Rente ab 67 plädierte der sozial- und arbeitsmarktpolitische IG Metall-Experte für eine neue Altersteilzeit sowie einen abschlagsfreien Ausstieg für langjährig Versicherte und Erwerbsgeminderte. Auch das Rentenniveau müsse gesichert werden und armutsfest sein. Gute Renten funktionierten nur solidarisch finanziert – mit einer Demographie-Reserve und Erwerbstätigenversicherung.
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