Bildungsteilzeit: Weil Qualifizierung heute vorausgesetzt wird
Weiterbildung und Vollzeitjob: nicht viele schaffen das

Abitur, Industriekauffrau, Bachelor und bald ein Master-Diplom. Die Qualifikationen von Jennifer Kranz können sich sehen lassen. Aber hinter der 26jährigen liegen kräftezehrende Jahre. Bis zur totalen Erschöpfung hat sie gearbeitet und nebenher studiert.

30. Januar 201530. 1. 2015


Die junge Frau hat einen bemerkenswerten Ausbildungsmarathon hingelegt: Direkt nach dem Abitur und gleich zu Beginn ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau hatte der Ausbildungsbetrieb, die SMS group in Düssldorf, ihr nahegelegt, doch nebenher ihren Bachelor zu machen. Irgendwie „naiv und ohne rechte Vorstellung, was das bedeuten würde“ – so sagt Jennifer heute – hat sie damals zugestimmt. Denn immerhin: die Firma übernahm die Kosten für den Bachelor in Höhe von insgesamt 15 000 Euro. Was die Arbeitszeit betrifft, kam der Arbeitgeber ihr aber nicht entgegen. Sie musste ihre Ausbildung im Betrieb in Vollzeit machen.

Jennifer hielt durch, vier lange Jahre, in denen sie an drei Abenden pro Woche und jeden zweiten Samstag noch an die Uni ging. Die freien Samstage, die Sonntage und Abende wurde dann zu Hause gelernt. Teilzeit arbeiten und nebenher studieren kam nicht in Frage, dafür hätte das Geld nicht gereicht: „Ich wohne nicht mehr zu Hause und habe meine regelmäßigen Kosten, für die ich aufkommen muss.“ Also, weiter arbeiten, lernen, Kurse besuchen – das volle Programm. 2011 hatte sie ihren Bachelor geschafft. Ihr Arbeitgeber ermutigte sie dazu, noch den Masterstudiengang dranhängen. Auch die Kosten dafür übernahm er. Aber wieder: alles neben dem Vollzeitjob.

Ein Jahr danach: Zwangspause wegen totaler Erschöpfung! Jennifer musste kürzer treten, pausierte ein Jahr von der Uni. Danach hat sie einen neuen Studiengang für ihren Master aufgenommen und will das jetzt auch abschließen: „Ein Jahr noch, vielleicht eineinhalb Jahre. Auch wenn die Kosten steigen, wenn das Studium länger dauert, ich kann und will mich nicht noch mal überfordern“, weiß sie jetzt.

Warum nimmt sie das auf sich, sie hat doch ihren Job! „Qualifizierung wird heute vom Arbeitgeber vorausgesetzt. Nur mit meinem Abi und der Berufsausbildung wäre ich jetzt, als Sachbearbeiterin im internationalen Vertrieb, schon am Ende der Karriereleiter angekommen“, weiß die junge Frau. Für die Unternehmen sei es selbstverständlich, dass sich die Beschäftigten qualifizieren und weiterbilden und immer auf dem neuesten Stand seien. Gerne werde über Fachkräftemangel geklagt, aber diejenigen, die sich tatsächlich weiter qualifizieren wollen, werden dann meist alleine gelassen und könnten kaum mit Unterstützung rechnen.

Jennifer Kranz weiß deshalb – auch und vor allem aufgrund ihrer eigenen Erfahrung – dass ein tarifvertraglicher Anspruch auf Bildungsteilzeit wichtig und richtig wäre: „Die Unternehmen verlangen die Qualifikationen und Abschlüsse – und sie profitieren ja auch von qualifizierten Beschäftigten! Deshalb müssen sie auch ihren Beitrag leisten, damit Fortbildung für ihre Mitarbeiter möglich wird.“ Dabei findet sie, dass finanzielle Unterstützung zwar wichtig, aber nicht alles ist. Sie weiß, wovon sie redet, wenn sie vor allem den Aspekt der Teilzeit betont: „Ich arbeite 40 Stunden pro Woche, dazu kommt noch der Weg von und zur Firma. Alleine meine Berufstätigkeit beansprucht täglich fast 11 Stunden. Dazu nebenher noch Kurse besuchen und lernen – eigentlich geht das ja gar nicht!“

Jennifer hat es fast geschafft, bald hat sie ihren Master in der Tasche. Damit und mit ihren 26 Jahren hat sie glänzende Aufstiegsmöglichkeiten. Dann wird sie sich auch wieder um ihr Privatleben kümmern. Denn, so muss sie zugeben, viele Freunde sind ihr nicht geblieben. Den meisten fehlte irgendwann das Verständnis dafür, dass sie nach dem Büro immerzu an die Uni musste oder zu Hause bleiben, um zu lernen.

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