Benteler Automobiltechnik in Paderborn
„Wir sind keine Leichtmatrosen, wir gehen auf die Brücke“

Eine Firma will aus Kostengründen zwei von sechs Standorten schließen und die Produktion nach Osteuropa verlagern. IG Metall und Betriebsrat halten dagegen, fordern, „besser statt billiger“ zu werden – und setzen sich damit durch. So geschehen bei der Benteler Automobiltechnik (BAT) in Paderborn.


Doch nicht nur das: Der Automobilzulieferer, der neben Paderborn auch Firmensitze in Warburg, Kleinenberg und Weidenau, in Schwandorf sowie in Eisenach unterhält, investiert 200 Millionen Euro in Industrie 4.0, auch mithilfe der Belegschaft: Die Firma verzichtet auf die Werksschließungen. Die Beschäftigten erhalten eine Jobgarantie und mehr Mitbestimmung in Sachen Industrie 4.0. Bis dahin aber war es ein weiter Weg.

Den Anfang des Weges markierte „Pforzheim“. Gerät ein Unternehmen in Turbulenzen, beginnt „Pforzheim“. Das Unternehmen verhandelt dann mit der IG Metall über eine ― befristete ― Abweichung vom Tarifvertrag, um auf diese Weise Standort und Beschäftigung zu sichern. Mit Pforzheim, der Römerstadt am Nordrand des Schwarzwaldes, hat das alles nur insofern zu tun, als dort die IG Metall und der Metallarbeitgeberverband am 12. Februar 2004 eine „Vereinbarung zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit“ abgeschlossen haben. Die IG Metall NRW hat den Tarifabschluss im selben Monat übernommen, an Rhein, Ruhr und Lippe heißt „Pforzheim“ jedoch „Gelsenkirchen“. Heute ist die Vereinbarung aus dem Jahr 2004 Teil des Tarifvertrags zur Beschäftigungssicherung (TV Besch). Allerdings: Strebt eine Firma eine Pforzheim-Vereinbarung an, muss sie sich von der IG Metall in die Bücher schauen lassen. Die Geschäftsführung muss nachweislich auf die Unterstützung der Belegschaft angewiesen sein ― so war es auch bei Benteler. Und es hat sich gelohnt.


Virtuelle Entwicklung von Produktionsprozessen

Die Geschäftsplanung 2016 bis 2019 des Unternehmens sieht einen Investitionsbedarf von knapp 200 Millionen Euro vor. Alle Werke sollen sich auf die „zunehmend individualisierten Kundenwünsche“ einstellen ― das ist ein Kennzeichen von Industrie 4.0: Losgröße 1 unter den Bedingungen der Massenproduktion. Benteler Automobiltechnik verspricht sich davon eine Vielzahl von Vorteilen: verkürzte Innovations- und Produktlebenszyklen, eine zunehmende Produktvielfalt, eine schnelle Umgestaltung der Produktion und eine Flexibilisierung der Mengen und Zeiten zum Beispiel. Aber auch eine zunehmend intelligente Instandhaltung, indem die Maschinen selbst ihren Materialbedarf melden, sowie eine Fehlerreduktion durch optische Hilfen, dazu einen optimierten Energieverbrauch und eine dezentrale Steuerung der Produktion.

Im dazu verhandelten Zukunftstarifvertrag mit der IG Metall vom 16. Dezember 2015 zur Standortentwicklung und Industrie 4.0-Umsetzungen heißt es: „Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit, aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten.“ In Pilotprojekten wird nun die virtuelle Entwicklung von Produkten und Produktionsprozessen erprobt. Außerdem sollen Produktionsanlagen und Logistik künftig miteinander kommunizieren und sich selbst organisieren, Roboter die Beschäftigten in der Produktion unterstützen. Die Position von Montagewerkzeugen wird kabellos kontrolliert, Warenlieferungen vom Lieferanten und an den Kunden werden in Echtzeit überwacht.

Das alles geschieht nicht hinter verschlossenen Türen. Laut Tarifvertrag berät eine Steuerungsgruppe aus Vertretern der Geschäftsführung, des Betriebsrats, der IG Metall und der Beratungsfirma Sustain Consult die Firma und den Betriebsrat und beteiligt die Beschäftigten am Prozess, beispielsweise durch Workshops. Diese Art der Beteiligung geht über das vom Betriebsverfassungsgesetz geforderte Maß hinaus. „Wenn wir ,Pforzheim’ machen, kommen wir nicht als Leichtmatrosen an Bord“, sagt der Düsseldorfer IG Metall-Tarifsekretär Richard Rohnert, „wir gehen auf die Brücke.“


Kein Werk wird geschlossen

Der Einsatz hat sich gelohnt: Kein Werk wird geschlossen, Benteler Automobiltechnik garantiert vielmehr für jedes Werk eine Mindestzahl von Beschäftigten und verzichtet bis Mitte 2021 auf betriebsbedingte Kündigungen. Dazu haben Unternehmen und IG Metall eine Leiharbeitsquote von acht Prozent vereinbart. Zudem verpflichtet sich das Unternehmen, mindestens 20 Ausgebildete pro Jahr unbefristet zu übernehmen und den Tarifvertrag Bildung (TV B) mit Leben auszufüllen, also: jährlich den betrieblichen und persönlichen Qualifizierungsbedarf zu ermitteln und mit dem Betriebsrat zu beraten. Industrie 4.0 mache „eine ständige Weiterqualifizierung der Beschäftigten notwendig“, heißt es im Abkommen von Benteler und IG Metall. „Wir geben damit ein klares Signal, dass wir fest an die Zukunft der deutschen Produktion glauben“, erklärt Ralf Göttel, Vorsitzender der Geschäftsführung von Benteler Automobiltechnik.

Allerdings: In Abweichung vom Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen werden künftige Tariferhöhungen erst am Ende der Laufzeit des Tarifvertrags gezahlt. Das Urlaubsgeld wird auf 1500 Euro gedeckelt. Werden bestimmte Gewinnmargen erzielt, steigt es um bis zu 800 Euro. Betriebliche Sonderleistungen wie das sogenannte Mai-Geld entfallen. Alle Beschäftigten arbeiten einmalig 25 Stunden unentgeltlich.

Diese Lasten sind solidarisch auf alle Beschäftigten verteilt worden. „Wir haben es geschafft, aus einem Kostensenkungsprogramm ein Investitionsprogramm für die Zukunft zu machen“, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Christian Schachten. „Ein gutes Ergebnis für alle Beschäftigten an allen Standorten“.

Wie aber konnte dieses Ergebnis zustande kommen? IG Metall-Tarifsekretär Richard Rohnert nennt dafür zwei Gründe: Der eine liege im Eigeninteresse von Benteler, auf dem deutschen Markt präsent zu bleiben. Den zweiten umschreibt Rohnert so: „Wir sind bei Benteler gewerkschaftlich gut organisiert.“

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