Arbeitszeit: Wechselschicht bei Aleris, Autozulieferer
Ein Tag im Leben von Herbert Fröhnich

Mit ihrer Kampagne „Mein Leben – meine Zeit“ will die IG Metall Menschen dabei unterstützen, wieder mehr selbst über ihre Zeit zu bestimmen. Wofür Metallerinnen und Metaller ihre Zeit brauchen, erzählen wir in unserer Reihe „Ein Tag im Leben von...“

12. April 201712. 4. 2017


Um neun wacht Herbert Fröhnich auf. Das Zimmer ist abgedunkelt, kein Geräusch dringt durch die Stöpsel in seinen Ohren. Herbert schließt die Augen, dreht sich auf die andere Seite, versucht wieder einzuschlafen, vergeblich. Während sein Körper müde von der Schicht nach Schlaf verlangt, sagt ihm seine innere Uhr, dass draußen der Tag beginnt.

Seit 17 Jahren arbeitet Herbert in Wechselschicht bei Aleris, Zulieferer der Auto- und Luftfahrtindustrie in Koblenz. Er ist Qualitätsfachmann, bereitet die Proben für die Zugprüfung aus den Platten vor.

Seit ein paar Jahren findet er nach der Nachtschicht oft nur noch wenig Schlaf. Um halb sechs kam er am Morgen nach Hause, duschte kurz und ging um sechs ins Bett. Um halb zehn ist er wieder auf den Beinen. „Die jungen Kollegen erzählen, dass sie bis nachmittags um vier schlafen. Aber wenn man auf die 60 zugeht, sowie ich, kommt der Körper damit nicht mehr klar“, sagt Herbert.

Drei Stunden Schlaf, mehr werden es nicht – heute und auch nach anderen Nachtschichten oft nicht. Vor Herbert liegt ein weiterer Tag, an dem er sich fühlt wie nach einem Transatlantikflug. Oder wieder 56-Jährige sagt: „Man sitzt rum wie Trippstrill.“

Herbert ist wach und doch zu müde, um etwas zu unternehmen. Vor zehn Jahren trainierte er noch mehrmals in der Woche, nahm an Meisterschaften im Bankdrücken teil. „Heute weiß ich gar nicht, woher ich die Kraft dafür genommen habe.“ Er spannt seine muskulösen Oberarme an. „Das sind immer noch 50 Zentimeter Umfang.“ Er lässt die Arme wieder sinken und fügt hinzu: „Es waren mal 56.“ Da er nun wach ist, kocht er für die Familie. Die beiden Söhne kommen um zwei aus der Schule, die Familie isst zusammen.

 

Seit 17 Jahren arbeitet Hebert Fröhnich in der Wechselschicht bei Aleris in Koblenz.


Noch sieben Jahre

Herbert wird im Mai 57. „Ich muss noch sieben Jahre durchhalten, dann kann ich in Rente gehen.“ Er hat es sich ausgerechnet, mit 64 Jahren und vier Monaten hat er 45 Jahre gearbeitet. Früher aufhören will er nicht. Wenn er Freunde oder Nachbarn sieht, die ein paar Jahre vor der regulären Rente aufgehört haben, weniger Geld bekommen und jetzt im Morgengrauen Zeitungen austragen, fragt er sich, warum sie nicht länger gearbeitet haben. „Nein, lieber durchhalten und dann ganz aufhören.“

Die Nachtschichten setzen ihm zu. Sein Herz spielt manchmal verrückt, kommt aus dem Takt – Herz-Rhythmus- Störungen. Dennoch will er nicht aus der Nachtschicht raus, allein schon weil er nicht auf das Geld verzichten kann. „Schlimmer sind die Ansageschichten“, sagt Herbert. Wenn viel zu tun ist, müssen er und seine Kollegen zusätzlich samstagsnachts eine Schicht einlegen.

Wer eine Ansageschicht übernimmt, hat anschließend nur noch drei statt vier Tage frei. „Das reicht nicht mehr, um mich zu erholen“, sagt Herbert. Den ersten Tag nach der Nachtschicht kann er ohnehin streichen. Dann schleppt er sich wie Trippstrill durch den Tag, schläft abends vor dem Fernseher ein und anschließend zehn oder elf Stunden durch.


Nachtschichten zehren an den Kräften

„Mit 57 sollte man die Leute nicht mehr Samstagnacht in eine zusätzliche Schicht schicken. Das ist einfach zu viel.“ Herbert hofft auf den Betriebsrat. Er hat gerade mit dem Arbeitgeber verhandelt, dass Beschäftigte ab 57 Jahren Ansageschichten nur noch freiwillig übernehmen müssen.

Um halb fünf geht Herbert mit seinem jüngeren Sohn trainieren. Der 15- Jährige hat den Sport seines Vaters für sich entdeckt. Im Keller steht noch immer alles, was man zum Training braucht: Hanteln, Drückbank, Laufband, viele Jahre ungenutzt, seit fünf Wochen wieder in Gebrauch. Alle zwei Tage trainiert er mit seinem Sohn. „Man muss immer einen Tag Pause machen. Die Muskeln brauchen Ruhe, um zu wachsen.“ Herbert denkt kurz nach, über das, was er gerade gesagt hat und fügt hinzu: „Wie bei der Arbeit, da braucht man auch Ruhe, um etwas zu leisten.“


Tiefpunkt um elf

Um 20 nach acht fährt Herbert zur Arbeit. Er ist seit gut 10 Stunden auf den Beinen, er ist müde, doch seine Schicht liegt noch vor ihm. Die Familie wohnt in Lonnig, einem kleinen Ort in der Eifel, 20 Kilometer von Koblenz entfernt. Um 21 Uhr beginnt die Nachtschicht. Herbert stellt die Zugproben mit einer CNC-Dreh- und Fräsmaschine her. Er muss sich konzentrieren, wenn er eine Null vergisst, sich vertippt, kann das die Maschine schrotten.

Der Tiefpunkt kommt gegen elf. Dann drückt die Müdigkeit schwer auf seine Augen und er sehnt die Pause um eins herbei. Eine halbe Stunde kann er dann verschnaufen. Nachts isst er nichts, höchstens einen Apfel, lieber macht er für ein paar Minuten die Augen zu. Um drei hat er seinen Tiefpunkt überwunden und wird langsam wieder fit. Zwischen vier und halb fünf reinigt er die Maschinen und beendet seine Schicht.

Herbert steigt wieder ins Auto. Die 20 Kilometer Autobahn will er schnell hinter sich bringen. Er muss sich konzentrieren, um wach zu bleiben. „Es ist anstrengend“, sagt Herbert, „aber nur noch sieben Jahre, dann bin ich raus.“ Dann will er sich ein Wohnmobil holen und einfach losfahren.

„Ich war schon in Miami“, sagt Herbert, „aber ich war noch nie in Hamburg, noch nie an der Nordsee und auch noch nie an der Ostsee.“ Dort will er überall hin. „Irgendwann hat man genug malocht“, sagt Herbert. „Dann will man nur noch seine Ruhe.“

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