Arbeit neu denken – Beispiel Motorenhersteller Deutz in Köln
Flexibel und fair: Das neue Arbeitszeit-System bei Deutz Köln

Flexibel sein, mal länger, mal kürzer arbeiten: Das verlangen viele Unternehmen von ihren Beschäftigten. Deren Wünsche spielen oft keine Rolle. Dass es auch anders geht, zeigt der Fall des Motorenherstellers Deutz in Köln. Dort hat der Betriebsrat neue Arbeitszeitregeln durchgesetzt.

9. September 20169. 9. 2016


Werner Scherer weiß noch genau, wie in seinem Betrieb früher mit dem Thema Arbeitszeit umgegangen wurde: „Darüber wurde nicht geredet“, sagt der langjährige Betriebsratsvorsitzende von Deutz in Köln. „Und meistens wurden immer nur Überstunden angehäuft.“ Transparent war das System auch nicht: Die Beschäftigten konnten ihre Arbeitszeitkonnten nicht täglich einsehen.

Heute ist das alles anders.

Der Betriebsrat hat bei dem Kölner Motorenbauer eine neue Arbeitszeit-Regelung für alle Beschäftigten durchgesetzt, die nicht taktgebunden oder direkt in der Produktion arbeiten. Herzstück ist ein Ampelsystem. Stehen auf dem Arbeitszeitkonto minus zehn bis plus 35 Stunden, ist alles im grünen Bereich. Ab 36 Überstunden springt die Ampel auf gelb. Dann geht automatisch ein elektronischer Hinweis an die Vorgesetzten: Achtung, Kollegin XY muss Stunden abbauen!

Ab 50 Überstunden schaltet die Arbeitszeit-Ampel auf rot. Dann müssen entweder schnell Stunden reduziert werden – oder die Vorgesetzten müssen bezahlte Mehrarbeit beantragen.

Der Clou: Die Beschäftigten können selbst über ihre Zeit entscheiden, solange sie im „grünen Bereich“ sind. Sie können zum Beispiel spontan einen Tag frei nehmen – für Einkäufe, Kinderbetreuung, Arztbesuche.

 

 

 

Betriebsrat Werner Scherer bei einer Kundgebung am Haupttor der Deutz AG. Foto: privat

 

 

 

Quantensprung um dreißig Jahre

Für das Ampelsystem musste ein neues Zeiterfassungssystem her. Am Computer lässt sich das persönliche Zeitkonto jetzt jederzeit prüfen. Per Chipkarte wird die Arbeitszeit minutengenau erfasst. Geleistete Arbeit kann nicht einfach „verfallen“, wie es in Deutschland millionenfach passiert. Und durch die Ampel-Grafik sieht man auf einen Blick, wo man steht.

 

Noch wichtiger als die technische Umsetzung ist die Philosophie, die hinter den neuen Arbeitszeitregeln steht. Werner Scherer und sein Betriebsrat haben sich das neue Modell nicht allein ausgedacht. Am Anfang standen viele Fragen: Was wollen die Kolleginnen und Kollegen eigentlich? Welche Wünsche haben sie für die Arbeitszeitgestaltung? Was sind ihre dringendsten Bedürfnisse?

 

Bei der Suche nach Antworten ging der Betriebsrat systematisch vor: Die groß angelegte Beschäftigtenbefragung der IG Metall hatte bereits 2013 gezeigt, wie wichtig das Thema Arbeitszeit vielen Beschäftigten ist. Der Deutz-Betriebsrat befragte die Beschäftigten im Unternehmen nochmal gezielt danach.

 

Das Ergebnis war eindeutig: Die überwältigende Mehrheit wünschte sich, selbstbestimmter zu arbeiten. Die größte Zustimmung gab es mit 96 Prozent bei der Aussage: Wenn der Arbeitgeber von mir zeitliche Flexibilität fordert, dann will ich im Gegenzug auch kurzfristig Freizeit nehmen können.

 

„Flexibilität darf keine Einbahnstraße sein“, fasst Betriebsrat Scherer die Stimmung in der Belegschaft zusammen. Entsprechend positiv sind die Rückmeldungen auf die neuen Arbeitszeitregeln, die seit Juni gelten. Witich Roßmann, Erster Bevollmächtigter der Kölner IG Metall, urteilt: „ Bei Deutz sind wichtige Arbeitszeit-Ziele der IG Metall umgesetzt: mehr Souveränität für die Beschäftigten, kein Verfall von Arbeitszeit.“

 

 

 

 

 

 

 

Zähes Ringen

Bei der Deutz-Geschäftsführung in Köln stießen die neuen Ideen zunächst auf wenig Gegenliebe. Die Manager wollten die Verfügungsgewalt über die Zeit der Beschäftigten nicht aufgeben. Die Verhandlungen liefen zäh. Am Ende setzte der Betriebsrat eine Ultimatum: Schluss mit der Kontrollmentalität, sonst haben wir ein Problem.

Die Bedenken des Managements erwiesen sich ohnehin als wenig begründet. Für Notfälle gibt es Regeln: Vorgesetzte können Ausgleichstage unterbinden, wenn „wichtige betriebliche Belange“ dagegensprechen. Damit keine Willkür herrscht, sind diese „Belange“ definiert: Sie greifen zum Beispiel bei dringender Terminarbeit oder wenn die Minimalbesetzung einer Abteilung unterschritten würde.

Dass sich die neue Arbeitszeitkultur auszahlt, dürften aber auch die skeptischsten Manager bald einsehen. Wenn sie junge Fachkräfte gewinnen und halten wollen, bleibt ihnen kaum etwas übrig, als flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten. „Junge Ingenieure oder Entwickler erwarten das heutzutage“, sagt Betriebsrat Werner Scherer.

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