Extremismus
Von Juristen erklärt: Wann aus Hetze eine Straftat wird

Hetze, Verleumdung, Hass: In der Diskussion über Flüchtlinge fallen bei manchen Menschen alle Hemmungen. Einige überschreiten sogar die Grenze zur Straftat. Wir erklären, wo Meinungsäußerung endet und Volksverhetzung beginnt – und welche Strafen darauf stehen.

26. Oktober 201526. 10. 2015


Vor allem in den sozialen Medien, aber auch in Betrieben nimmt die Hetze gegen Flüchtlinge zu. Kann man dagegen juristisch vorgehen?
Ja, vor allem mit dem Paragrafen 130 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Der Volksverhetzung macht sich demnach strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert (Nr. 1) oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet (Nr. 2).

Welche Strafe steht darauf?
Als Strafe droht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Weiterhin wird nach § 130 Abs. 2 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer Schriften verbreitet oder herstellt, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass Teile der Bevölkerung oder eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden.

Können dagegen nur diejenigen vorgehen, die das unmittelbar betrifft? Oder kann jede und jeder Anzeige wegen Paragraf 130 StGB stellen?
Bei dem Straftatbestand der Volksverhetzung handelt es sich um ein Offizialdelikt, das heißt, der konkret Betroffene muss sich selbst gar nicht beleidigt fühlen, und er muss auch kein eigenes Interesse an der Strafverfolgung haben. Es genügt, dass irgendwer die Beleidigung hört und daraufhin Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft muss dann von Amts wegen ermitteln und gegebenenfalls anklagen.

Ziel der Volksverhetzung sind „Teile der Bevölkerung“. Was ist damit gemeint?
Gemeint sind mit diesem Begriff alle im Inland lebenden Personengruppen, die sich auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale – zum Beispiel Volkszugehörigkeit, Religion, politische oder weltanschauliche Überzeugung, soziale und wirtschaftliche Verhältnisse, Beruf, soziale Funktion – als eine von der übrigen Bevölkerung unterscheidbare Bevölkerungsgruppe darstellen und die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit, das heißt individuell nicht mehr überschaubar sind.

Müssen diese Gruppen besondere Merkmale aufweisen?
Es ist in diesem Rahmen unerheblich, ob es sich um Deutsche oder Ausländer handelt, und auch, ob die Gruppe besonders gefährdet ist – letzteres kann allerdings bei der Frage nach der Friedensstörung von Bedeutung sein. Bevölkerungsteile im Sinne des § 130 StGB sind der Rechtsprechung zufolge etwa politische Gruppen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Besitzende und Besitzlose, Arbeitslose, Punker, Behinderte, Bauern, Beamte oder einzelne hinreichend abgrenzbare Beamtengruppen, die Soldaten der Bundeswehr, Einheimische und Vertriebene, Aus- und Übersiedler, Schwaben oder Preußen, Katholiken, Juden, die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer, Gastarbeiter oder bestimmte Gastarbeitergruppen, Asylbewerber, Sinti und Roma oder Menschen „anderer Hautfarbe“. Keine Teile der Bevölkerung sind staatliche oder gesellschaftliche Institutionen wie etwa die Bundeswehr, die Kirchen, Gewerkschaften etc.

Welche Handlungen sind denn nach Paragraf 130 strafbar?
Erstens: Aufstacheln zum Hass im Sinne des Gesetzes ist das Einwirken auf einen Anderen, das objektiv geeignet und als zielgerichtetes Handeln dazu bestimmt ist, bei diesem eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu steigern.

Zweitens: Die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen bedeutet ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, Einwirken auf andere mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss zu Gewalttätigkeiten oder sonstigen diskriminierenden und im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehenden Behandlungen aller Art hervorzurufen.

Und was ist unter „Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden“ zu verstehen?
Dabei ist das Diffamieren von Bevölkerungsgruppen sowohl durch Tatsachenbehauptungen wie auch durch Werturteile erfasst. Erforderlich ist zusätzlich ein Angriff auf die Menschenwürde. Zur Erfüllung des Tatbestands ist deshalb grundsätzlich erforderlich, dass der Angriff gegen den Persönlichkeitskern des Opfers, gegen dessen Menschsein als solches gerichtet ist. Dass etwa Ausländern lediglich das Aufenthaltsrecht bestritten wird, wird diesen Anforderungen meist nicht genügen, wohl aber wenn sie beispielsweise als „Untermenschen“ oder „minderwertige Menschen“ bezeichnet oder mit Tieren oder Sachen auf eine Stufe gestellt werden.

In welchem Verhältnis stehen diese Einschränkungen zur Meinungsfreiheit, die ein hohes Gut ist?
Die rechtliche Norm der Meinungsfreiheit findet sich in Artikel 5 des Grundgesetzes „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern (.)“. Ihre Grenzen findet die Meinungsfreiheit in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Eine Meinungsäußerung darf nicht beleidigend sein und die andere Person herabwürdigen. Die Rechtsprechung spricht von der „Schmähkritik“, die nicht der sachlichen Auseinandersetzung dient, sondern die die genannte Person kränken und diffamieren soll.

Was ist, wenn Äußerungen, die den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen, im Betrieb fallen?
Wenn ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten, oder insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich stört (§ 75 Betriebsverfassungsgesetz/BetrVG), so kann der Betriebsrat gem. § 104 BetrVG die Entlassung oder Versetzung verlangen.

Da gerade diese Äußerungen besonders geeignet sind, den Betriebsfrieden zu stören, werden sie im Gesetz auch explizit genannt. Die Vorschrift gilt nach der Rechtsprechung für alle im Betrieb tätigen Arbeitnehmer. Wichtig ist dabei zu beachten, dass der Gesetzgeber von einer wiederholten Störung spricht.

Was heißt denn „wiederholte Störung“?
Dabei kommt es darauf an, ob in Zukunft derartige Äußerungen erneut zu befürchten sind. In besonders ernstlichen Fällen reicht aber nach Teilen der Rechtsprechung auch die Erstbegehung aus. Die Störung muss sich auf den Betrieb und die Zusammenarbeit im Betrieb auswirken. Ein Verhalten, dass außerhalb der betrieblichen Sphäre wirkt ist für eine Kündigung nicht ausreichend. Strafrechtliche Verantwortlichkeiten bleiben aber bestehen.

Können Arbeitgeber überhaupt juristische Schritte einleiten, wenn sich jemand außerhalb des Betriebs äußert?
Grundsätzlich muss differenziert werden zwischen Äußerungen während der Arbeitszeit und „Freizeitaktivitäten“. Arbeitsrechtliche Schritte aufgrund außerbetrieblichen Verhaltens des Arbeitnehmers kommen grundsätzlich nur im Ausnahmefall in Betracht, wenn hiermit eine Vertragsverletzung verbunden ist.

In welchem Fall ist eine Kündigung gerechtfertigt?
Grobe Beleidigungen und erst recht Straftaten gegenüber Arbeitgebern oder Kollegen können eine Kündigung rechtfertigen. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, denn diese schützt nicht die Beleidigung oder Schmähkritik. Ob eine Kündigung gerechtfertigt ist oder nicht wird sich vor allem danach richten, ob es sich um eine „vertrauliche“ Kommunikation gehandelt hat. Es ist also von Bedeutung, welchem Kreis die Äußerungen zugänglich sind, oder ob der Verursacher z. B. keine Beschränkungen seines Leserkreises in den sozialen Medien vorgenommen hat. Von Bedeutung ist auch, ob zu seinem – wenn auch beschränkten – Leserkreis z. B. Kunden oder Lieferanten des Arbeitgebers gehören.

Was ist sonst noch zu beachten?
Viele Unternehmen haben inzwischen Verhaltensrichtlinien oder Betriebsvereinbarungen zum Verhalten in sozialen Medien. Diese sind zur Beurteilung einer Kündigung heranzuziehen.

Soziale Medien spielen eine besondere Rolle. Welche Grenzen gelten bei Facebook und Co.?
Auch in sozialen Netzwerken gelten alle Paragrafen des Strafgesetzbuchs. Beispiel: Eine Frau hat auf Facebook zur Gewalt gegen Asylbewerber aufgerufen. Wegen Volksverhetzung verurteilte sie ein Amtsgericht zu fünf Monaten Haft auf Bewährung. Der Grund: Die Frau äußerte sich bei Facebook fremdenfeindlich gegenüber Flüchtlingen. Sie habe sich der Volksverhetzung schuldig gemacht, befand das Amtsgericht am vergangenen Freitag. Angesichts der Zunahme von Hassäußerungen im Internet sei zur Abschreckung der Allgemeinheit die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe „unerlässlich“, erklärte die Richterin. Die Strafe entsprach dem Antrag des Staatsanwalts.

Was hatte die Frau genau gepostet?
Die Angeklagte hatte im April 2015 bei Facebook einen Zeitungsartikel kommentiert, in dem über die Festnahme eines Asylbewerbers nach einem angeblichen Vergewaltigungsversuch berichtet wurde. Dazu schrieb sie unter anderem: „Weg mit dem Dreck!“ Wenn der Staat das nicht verstehe, würden „noch viel mehr Asylheime brennen... hoffentlich dann mit vernagelten Türen“. Die bis dahin nicht vorbestrafte Frau habe „gegen Teile der Bevölkerung zum Hass aufgestachelt“ sowie zu Gewalt und Willkür aufgefordert, so die Anklage.

Geht es denn den Arbeitgeber irgendetwas an, was ich bei Facebook oder Twitter poste?
Grundsätzlich ist ein rein außerbetriebliches Verhalten des Arbeitnehmers eben nicht geeignet einen außerordentlichen Kündigungsgrund im Sinne von § 626 BGB darzustellen. Denn was der Mitarbeiter außerhalb des Betriebes in seiner Freizeit tut, hat den Arbeitgeber im Grunde nicht zu interessieren. Es verbleibt aber bei einer Einzelfallbetrachtung des Gerichtes, ob durch eine hetzerische Äußerung im Privatbereich über Facebook oder Twitter oder andere soziale Netzwerke der Betriebsfrieden und das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört werden, dass dem Arbeitgeber ein Festhalten am Arbeitsverhältnis auch -ohne vorherige Abmahnung- nicht mehr zuzumuten ist.

Das LAG Hamm entschied mit Urteil vom 10.10.2012 (Az.: 3 Sa 644/12): Das Recht eines Angestellten, seine Meinung zu seinem Arbeitgeber darzustellen, muss hinter dessen Interesse zurücktreten, nicht in einem öffentlich zugänglichen Forum pauschal diffamiert zu werden. Öffentliche Facebook-Posts haben dabei denselben Stellenwert wie andere öffentliche Meinungsäußerungen. Die Folge: Wenn der Arbeitgeber davon erfährt, darf er die Informationen auswerten – und gegebenenfalls Konsequenzen daraus ziehen.

Ist es ein Thema für Betriebsräte, wenn sie Fälle von Hetze im Betrieb mitbekommen? Und haben sie dort ebenfalls besondere rechtliche Möglichkeiten?
Ja. Paragraf 75 Abs. 1 BetrVG fordert, dass Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen haben, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Das bedeutet insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.

Gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Bei dem Diskriminierungsverbot handelt es sich um eine Grundnorm für das Zusammensein im Betrieb, an welche sich auch der einzelne Beschäftigte halten muss.#

Bedeutet das, Arbeitgeber und Betriebsrat können nicht nur über die Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen wachen, sie müssen es sogar?
Diese Überwachungspflicht trifft den Arbeitgeber wie den Betriebsrat, und erstreckt sich über die im Betrieb tätigen Personen. Wird die Plicht aus § 75 BetrVG verletzt, so haben sie die Pflicht, dem entgegenzutreten und um Abhilfe bemüht zu sein. Nach § 104 BetrVG kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Bleibt der Arbeitgeber untätig, so kann die Maßnahme vor Gericht erstritten werden.

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