Leiharbeiter ausgebeutet
Skandal um Leiharbeit bei Mercedes in Rastatt

Wer krank ist, der fliegt. Wer sich beklagt, fliegt. Sie werden um Arbeitsstunden und Urlaub betrogen. Wer zu oft nachfragt, fliegt. Unter den 1200 Leiharbeitern der Leihfirma DEKRA im Mercedes-Werk Rastatt herrscht Angst. Die IG Metall geht nun gemeinsam mit den Beschäftigten die Missstände an.

18. Juni 201818. 6. 2018


Leiharbeiter Walter W.* hatte eine Operation am Fuß, war krankgeschrieben – und erhielt prompt nach zwei Tagen die Kündigung von seiner Leihfirma, der DEKRA Arbeit GmbH. Jetzt ist er arbeitslos. Er hatte es befürchtet. Monatelang ist er mit Schmerzen zur Arbeit im Mercedes-Montagewerk in Rastatt gekommen – bis der Sanitäter ihn zum Arzt schickte.

„Krank feiern“ traut sich kaum einer der 1200 Leiharbeiter hier. „Wenn Du Dich krank meldest, ruft eine halbe Stunde später der ärztliche Dienst von DEKRA an und fragt Dich aus“, erklärt eine Leiharbeiterin, die sich ihren Finger auf der Arbeit verstaucht und selbst mit Bleistift geschient hat. „Du fühlst Dich wie Vieh behandelt.“

Viele nehmen daher Urlaub, wenn sie krank sind, um ihren ohnehin befristeten Job nicht zu verlieren.

Das weiß die IG Metall aus über 200 persönlichen Gesprächen. In einer „Blitz“-Aktion kamen letzte Woche rund 50 Sekretäre der IG Metall Baden-Württemberg drei Tage lang zu den Schichtwechseln vor die Werkstore, boten Sprechstunden in Werksnähe für Leiharbeiter an und besuchten sie zu Hause.


Klima der Angst – Betrug bei Urlaub und Arbeitszeit

Das Fazit der Gespräche mit den Leiharbeitern: Die Arbeit selbst bei Mercedes ist top. Leiharbeiter werden hier gut bezahlt – dank eines Tarifvertrags der IG Metall und einer Betriebsvereinbarung gibt es über 20 Euro in der Stunde – und sie werden von den Mercedes-Vorgesetzten gut behandelt. Anders als von ihren Personalverantwortlichen bei ihrer eigenen Firma DEKRA. Hier herrscht ein Klima der Angst.

Und sie werden oft betrogen: Urlaubstage und Arbeitszeit verschwinden einfach von einem Monat zum nächsten Monat. Die Prüfung der oft völlig undurchsichtigen und wirren Abrechnungen und Stundenzettel deckte systematisch Unregelmäßigkeiten auf. Der Spitzenwert waren 14 Tage Urlaub, die ohne erkennbaren Grund auf einmal gestrichen waren.

Wer nachfragt, erhält teils groteske Begründungen. In der Probezeit gebe es eben weniger Urlaub, sagten sie einem jungen Facharbeiter, der bereits seinen Urlaub gebucht hatte – und plötzliche zu wenige Urlaubstage dafür hatte. Einem anderen Leiharbeiter erklärte DEKRA ganz selbstverständlich, dass seine Plusstunden mit Feiertagen verrechnet worden seien.

Die meisten Leiharbeiter trauen sich erst gar nicht nachzufragen. Wer zu viel fragt, riskiert eine Abmahnung oder sofort die Kündigung.

Zumindest gibt es dann keine Verlängerung der stets befristeten Arbeitsverträge bei DEKRA. Auch hier stellten die IG Metall-Sekretäre Unregelmäßigkeiten fest. Vertragsverlängerungen etwa wurden verfälscht oder vertuscht, etwa indem sie nach hinten datiert wurden, wodurch Leiharbeiter um ihre unbefristete Übernahme gebracht wurden. Fast 40 solcher Fälle gab DEKRA nach wiederholtem Druck durch die IG Metall zu.


Im September alle raus – ohne konkrete Zusage

Die unsichere Zukunft – das belastet die DEKRA-Leiharbeiter am meisten. Im September ist für alle erst mal Schluss. Mercedes baut einen Teil der Produktion um. Nach vier bis sechs Monaten Arbeitslosigkeit soll es dann weitergehen – für die meisten, erklärte DEKRA den Leihbeschäftigten auf Versammlungen Anfang Juni.

Konkrete Zusagen gab es nicht, berichteten Leiharbeiter an der Werkstoren. Immerhin sollen sie „die Werksausweise und die Schuhe behalten“. Etwas Schriftliches wäre ihnen lieber. Sie verstehen nicht, warum sie überhaupt alle gehen müssen. Ein Teil von ihnen arbeitet überhaupt nicht in der betroffenen Montagehalle.

Auch die Stammbeschäftigten bei Mercedes sind verärgert über das, was bei DEKRA passiert. Fast alle haben Leihbeschäftigte als direkte Kollegen in ihren Gruppen. „Die haben genauso mitgearbeitet und die Stückzahlen gebracht wie wir“, heißt es an Tor 5.1. Oder: „Was mich das als Stammbeschäftigter angeht? Das sind Menschen. Und so was gehört sich nicht.“


IG Metall fordert Respekt für DEKRA-Beschäftigte

Der Skandal um die DEKRA-Leiharbeiter bei Mercedes in Rastatt war bereits im Februar erstmals aufgedeckt worden. Bei ganztägigen Warnstreik der IG Metall bei Mercedes kamen DEKRA-Beschäftigte zu Betriebsrat: DEKRA wolle ihnen Urlaub und Stunden für den Warnstreik abziehen.

Bei einem ersten mehrtägigen „Blitz“ führte die IG Metall bereits rund 130 Gespräche mit Leiharbeitern. Zum zweiten Blitz hat die IG Metall nun auch die Medien eingeladen. Im SWR-Fernsehen beispielsweise lief ein Beitrag in den Nachrichten.

„Wir wollen die DEKRA dazu bringen, dass sie mehr Transparenz gegenüber ihren Beschäftigten schafft und die Menschen respektvoll behandelt“, erklärt Heiko Maßfeller, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall-Geschäftsstelle Gaggenau. Die IG Metall hat bereits erste Gespräche mit DEKRA geführt. Tatsächlich berichteten Leiharbeiter, dass zumindest die Abrechnungen korrekter geworden sind.

Zudem hat die IG Metall erreicht, dass Daimler die Missstände bei DEKRA in Rastatt überprüfen will. Bei Mercedes hat der Betriebsrat vor einigen Jahren soziale Mindeststandards für die Vergabe von Arbeit an externe Firmen durchgesetzt, die auch für DEKRA gelten. Gegenüber dem SWR erklärte die Unternehmensleitung: „Wir verurteilen jegliche Missachtung unserer Standards und werden jeden Missbrauch abstellen, den wir bei uns und unseren Vertragspartnern feststellen.“

Darauf allein will sich die IG Metall nicht verlassen. Ziel des zweiten Blitzes war es auch, DEKRA-Beschäftigte als IG Metall-Mitglieder und Aktive zu gewinnen, um gemeinsam Verbesserungen bei DEKRA durchzusetzen. Am Samstag gab es bereits ein erstes Aktiven-Treffen bei der IG Metall Gaggenau.


*(Name ist der Redaktion bekannt)

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