Interview mit Jörg Hofmann
„Wir brauchen den Druck“

In der Metall-Tarifrunde geht es nicht nur um mehr Geld, sondern auch um die Arbeitszeit: Der Erste Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann erklärt, warum die Beschäftigten Arbeitszeiten brauchen, die zum Leben passen – und warum Warnstreiks kein Ritual sind.

24. November 201724. 11. 2017


Am 15. November starten die Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie. Unter dem Motto „Miteinander für morgen“ fordern wir eine Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 6 Prozent ― sowie eine Wahloption bei der Arbeitszeit.

Beschäftigte sollen ihre Arbeitszeit ohne Begründungszwang auf bis zu 28 Stunden in der Woche für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten reduzieren und anschließend wieder auf ihre frühere Arbeitszeit zurückkehren können. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt Jörg Hofmann, warum die IG Metall mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit für alle Beschäftigten erreichen will.


SZ: Sie haben das Motto ausgerufen: „Arbeitszeiten, die zum Leben passen.“ Woher haben Sie eigentlich die Info, dass die bisherigen Zeiten nicht passen?

Jörg Hofmann: Wir haben die Beschäftigten befragt. Und zu unserer Überraschung haben sich 680 000 Menschen die Mühe gemacht, einen Fragebogen auszufüllen.


Aber nur zehn Prozent gaben an, mit ihren Arbeitszeiten unzufrieden zu sein.

Das heißt das ja nicht, dass die anderen keine weiteren berechtigten Wünsche haben. 80 Prozent sagen: Wir brauchen Arbeitszeiten, die besser zum Alltag oder zu der Lebensphase passen, in der man gerade ist.


Geld ist also diesmal das leichtere Thema?

Es fühlt sich leichter an, weil es ideologisch nicht so aufgeladen ist wie das Thema Arbeitszeit. Dabei geht es immer um Machtfragen: Wer bestimmt über die Zeit ― die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer selbst?


Warum soll die Firma mit 200 Euro im Monat bezuschussen, dass sich jemand um Eltern oder Kinder kümmern will?

Eigentum an Produktionsmitteln ist mit einer Verpflichtung fürs Gemeinwohl verbunden. Das ist die Grundlage des Sozialstaats, das ist auch die Grundlage von Lohnfortzahlung und Urlaubsgeld, und das muss in einem modernen Sozialstaat auch etwa für Sorgearbeit für Kinder und die Pflege Familienangehöriger gelten.


Vom Urlaub hat auch die Firma etwas. Danach kommt man leistungsfähig zurück.

Und von einer vorübergehenden Absenkung der Arbeitszeit auf 28 Stunden hat die Firma auch etwas. Man bindet jemanden an den Betrieb, der andernfalls vielleicht ganz wegginge.


Wer jedoch seine Arbeitszeit lassen will, wie sie ist, bezahlt künftig die Wünsche anderer mit. Denn falls die Arbeitgeber sich darauf einlassen, werden sie die Kosten begrenzen, indem sie insgesamt zu einem geringeren Lohnplus bereit sind.

Na ja, was an Prozenten herauskommt, hängt stark von der öffentlichen Debatte über unsere Forderungen ab, und davon, wie viele Beschäftigte wir auf die Beine kriegen, zu Kundgebungen oder Streiks. Das ist uns immer in denjenigen Tarifrunden besser gelungen, in denen wir nicht nur Geld gefordert haben, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen.


Je mehr Sie zusätzlich zum Geld fordern, umso mehr Geld setzen Sie auch durch?

Jedenfalls nicht weniger, als wenn wir nur Geld fordern.


Nächster Einwand: Die Arbeitgeber sagen, ihr größtes Problem derzeit sei der Arbeitskräftemangel. Und jetzt kommen Sie und verstärken den noch.

Wenn das so ist, wundere ich mich, warum sie weniger ausbilden als früher. Also: Bildet mehr aus! Und in der Metall- und Elektroindustrie sind nur 20 Prozent der Beschäftigten Frauen. Warum überlegen die Firmen nicht, wie sie für die attraktiver werden? Das ginge am besten, indem sie über attraktive Arbeitszeiten nachdenken.


Selber schuld?

Selber schuld! Die IG Metall hilft den Firmen mit ihrer Forderung gerade. Und jetzt verraten Sie mir noch, warum die Firmen sowohl jammern als auch jeden siebten Arbeitnehmer unter dessen Qualifikation beschäftigen. Meister, die am Band arbeiten. Techniker, die sich weitergebildet haben, aber keinen Schritt vorankommen. Da gibt’s Tausende. Personalentwicklung und Fortbildung ist für viele Firmen ein Fremdwort ― oder exklusiv für Führungskräfte.


Machen Sie doch einen Deal mit den Arbeitgebern. Die sollen Ihnen das Recht auf die 28-Stunden-Woche geben, und Sie erfüllen deren Forderungen. Zum Beispiel Überstunden gegen Bezahlung, wenn ein Betrieb besonders viel zu tun hat.

Ist ja klar, dass sie dagegenhalten. Aber wir erwarten auch, dass sie auf unsere Forderungen Antwort geben.


Ist doch ’ne Antwort.

Sie wollen Zuschläge für Überstunden sparen. Gleichzeitig weigern sie sich, mit uns bundesweit Arbeitszeitkonten zu vereinbaren. Die könnten dann abgebaut werden, wenn es einem Betrieb schlechter geht, so dass man die Beschäftigten halten kann, statt sie entlassen zu müssen.


Am Ende werden Sie und die Arbeitgeber sich irgendwie einigen. Wieso gelingt Ihnen immer, was in der Politik den Jamaikanern nun nicht gelungen ist?

Weil wir beide wissen: Durch die Tür, durch die wir hinausgehen, müssen wir auch wieder zurückkehren. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Das ist schon mal eine gesunde Grundlage. Und wir sind beide ziemlich verbissen in dem Willen, unsere Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen selber zu regeln, ohne den Staat. Der muss Mindestbedingungen für die sichern, die keinen Tarifvertrag haben.


Haben zudem altbekannte Konfliktrituale den Nutzen, Ihre Auseinandersetzungen geordnet zu halten. „Schluck aus der Pulle“ und solche Floskeln?

Den Ausdruck habe ich mein Lebtag noch nicht in den Mund genommen. Aber Sie haben Recht, Rituale geben Halt. Noch etwas anderes ist wichtig: Unsere Mitglieder sind unmittelbar von unseren Ergebnissen betroffen, viel stärker als Parteimitglieder von den Ergebnissen von Politik. An unseren Verhandlungstischen sitzen die Betroffenen. Da geht man nicht ohne Ergebnis auseinander. Was übrigens die Regierungsbildung betrifft, finde ich die Bemühungen des Bundespräsidenten, diese zu ordnen, mehr als hilfreich. Man kann sich zwischen Demokraten nicht gegenseitig mit Tabus blockieren und das Volk so oft an die Urnen rufen, bis das Ergebnis passt. Neuwahlen sind das Doofste überhaupt.


Zu Ihren Ritualen gehört, dass es im Januar Warnstreiks geben wird, die jetzt schon geplant werden.

Das gibt’s natürlich. Und das ist kein Ritual, sondern wir brauchen den Druck. Der wirkt bei der Auftragslage. Einen massiven Arbeitskampf kann sich die Industrie Anfang 2018 eigentlich nicht leisten.


Heißt das, was die Arbeitszeiten betrifft: wenn nicht jetzt, wann dann?

Eben.


Heißer Reifen. Auch für Sie, so kurz vor den Betriebsratswahlen im Frühjahr.

Ja, aber wir können das nicht treiben lassen, dass Arbeitszeit immer nur bedeuten soll: Vollzeit plus Überstunden plus Flexibilität plus steigender Leistungsdruck. Die junge Generation ist nicht mehr bereit, sich dem zu unterwerfen. Wir brauchen dringend einen Kulturwandel.


Zur Causa Siemens: Die Linke will Massenentlassungen verbieten bei Firmen, die Gewinne machen. Finden Sie das auch?

Massenentlassungen auszuschließen in gut verdienenden Konzernen, das unterschreibe ich. Vor allem, wenn der Arbeitgeber über die Köpfe der Beschäftigten hinweg entscheidet.


Haben Sie Alternativen?

Ja, nämlich über Investitionen neue Beschäftigung zu schaffen. Die Art, wie Siemens-Chef Joe Kaeser dieses Thema kommuniziert, ist skandalös. Und da seine Pläne für manche Standorte das komplette Aus bedeuten würden, wird die IG Metall nun ordentlich Krawall machen. Wir werden die Beschäftigten ganz bestimmt nicht alleine ihrem Schicksal überlassen.


Es ist bereits von Streik die Rede. Ginge das bei Siemens derzeit überhaupt?

Streik bleibt immer das letzte Mittel.


Das Interview führte Detlef Esslinger. Es ist am 23. November 2017 in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen.

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