Interview mit Hans-Jürgen Urban
Flexibilität ja, Flexirente nein

Arbeitgeber und wirtschaftsnahe Politiker fordern eine „Flexirente“. Für mehr Flexibilität in der Rente ist auch Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Warum er von der Flexirente nichts hält, erklärt er im Gespräch mit der Metallzeitung.

18. September 201418. 9. 2014


Möchtest Du Dir vorschreiben lassen, wann Du in Rente gehst?
Hans-Jürgen Urban: Nein.

Warum nicht?
... weil es für mich zu einem guten Arbeitsleben gehört, selbst zu entscheiden, wann ich aufhöre.

Spricht für mehr Flexibilität bei der Rente oder nicht?
Die Frage ist: Von welcher Flexibilität sprechen wir? Zu einem guten Arbeitsleben gehört auch, freiwillig zu wählen, ob ich aufhöre oder weiterarbeite. Wer von seiner Arbeit verschlissen und gesundheitlich am Ende ist, hört nicht freiwillig auf. Wessen Rente nicht zum Leben reicht, arbeitet nicht freiwillig weiter.

Und was ist mit denen, die sich fit fühlen, weiterarbeiten wollen und sich mehr Flexibilität wünschen?
Wir sperren uns nicht gegen mehr Flexibilität. Im Gegenteil: Wir wollen mehr flexible Übergänge in die Rente. Es gibt im Rentenrecht keine Pflicht nach Erreichen der Regelaltersgrenze auszuscheiden und auch nach unseren Konzepten ist es nicht verboten, darüber hinaus zu arbeiten. Aber das sind und das sollten auch in Zukunft Ausnahmen bleiben. Das kann und darf nicht zur Regel für alle werden. Die Wirklichkeit in unseren Betrieben sieht doch ganz anders aus: Die meisten Beschäftigten sind froh, wenn sie die Regelaltersgrenze überhaupt erreichen. Für sie brauchen wir mehr Wahlmöglichkeiten beim Übergang in den Ruhestand – und zwar vor der Regelaltersgrenze.

Warum dann nicht eine Flexirente einführen?
Die Flexirente ist ein trojanisches Pferd. Außen hübsch, innen gefährlich. Diejenigen, die jetzt die Flexirente fordern, denken nicht an einen früheren Ausstieg aus dem Arbeitsleben. Sie meinen Flexibilität nach der Regelaltersgrenze. Sie wollen die Grenze zwischen Arbeitsleben und Ruhestand nicht nur nach hinten verschieben, sondern aufheben. Sie zielen nicht auf mehr Freiwilligkeit, sondern auf eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit.

Warum ist das nicht freiwillig? Wer die Regelaltersgrenze erreicht hat, kann doch jederzeit in Rente gehen.
Das kann ich machen, wenn ich es mir leisten kann. Zudem ist es nicht freiwillig, wenn die Personalabteilung entscheidet, wer geht und wer bleibt. Die Arbeitgeber wollen sich alle Optionen offenhalten und bestimmen, wen sie halten und wen nicht.

Brauchen Arbeitgeber dafür eine Flexirente? Könnten sie das nicht bereis jetzt?
Die Flexirente, die sie fordern, würde es ihnen leichter machen. Hier soll ein Sektor geschaffen werden für Menschen mit einem Kombieinkommen aus Niedriglohn und Minirente.

Arbeitgeber sagen, sie brauchen diese Fachkräfte. Müssten sie Ihnen nicht besonders gute Arbeitsbedingungen bieten, um sie zu halten?
Die Flexirente läuft nicht auf gute Arbeitsbedingungen, sondern auf weniger Arbeitnehmerrechte hinaus. Arbeitgeber wollen Ältere ohne Grund befristen. Für Rentner, die zusätzlich arbeiten, sollen die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung gestrichen werden. Es ist absurd. Jetzt haben wir mit dem Mindestlohn einen wichtigen Damm gegen den wachsenden Niedriglohnsektor errichtet. Und nun soll bei den Älteren ein neues Feld mit unsicheren Arbeitsverhältnissen und Minilöhnen eröffnet werden.

Übernehmen mit der Flexirente die Alten die Produktionsbänder und Schreibtische?
Das sicher nicht. Aber ich sehe die Gefahr, dass „billige Alte“ „teurere Junge“ verdrängen. Wenn sie einen erfahrenen Ingenieur für weniger Geld beschäftigen können als einen jungen, werden sie es tun.

Muss Politik nicht dennoch Wege schaffen, um Unternehmen und Fachkräfte, die sie brauchen, zusammenzubringen?
Weder der arbeitende Rentner noch der rentenberechtigte Arbeitnehmer sind eine Antwort auf die Herausforderungen, vor die uns die demografische Entwicklung stellt. Wenn Unternehmen Fachkräfte brauchen, können sie selbst vorsorgen und ausbilden. Und nicht zu vergessen: Wir haben immer noch rund 3 Millionen registrierte Erwerbslose und insgesamt sind es etwa 4,5 Millionen, die keinen Arbeitsplatz finden. Solange so viele Menschen Arbeit suchen, müssen wir nicht über längere Arbeitszeiten reden: nicht in der Woche, nicht im Monat, nicht im Jahr und nicht über eine längere Lebensarbeitszeit.

Worüber müssen wir reden?
Darüber wie Menschen am Arbeitsplatz gesund bleiben, wie Erwerbslose für neue Jobs qualifiziert werden und wie wir den Übergang in den Ruhestand flexibel und verlässlich gestalten.

Flexibel und verlässlich? Ist das nicht ein bisschen viel verlangt?
Nein, überhaupt nicht.

Wie soll das gehen?
Flexibel heißt, dass es Optionen für den Ausstieg auch vor der Regelaltersgrenze gibt wie die Rente mit 63 oder eine gute Altersteilzeit. Verlässlich heißt, dass ich von meiner Rente leben kann. Deswegen wollen wir in der kommenden Tarifrunde die Altersteilzeit verbessern. Auf die sozialpolitische Agenda setzen wir die Erhöhung des Rentenniveaus.

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