Interview mit der Arbeitspsychologin Renate Rau
„Stress kann krank machen“

Arbeitsbelastungen beeinträchtigen die Gesundheit. Das belegen neue Studien. Termin- und Leistungsdruck, aber auch Schichtarbeit und überlange Arbeitszeiten sind Risikofaktoren. Ein Interview mit der Arbeitspsychologin Renate Rau.

29. November 201629. 11. 2016


Neue Studien belegen, dass psychische Belastungen krank machen können – und zwar an Körper und Seele. Hat Sie das überrascht? 

Prof. Dr. Renate Rau: Nein, dass Fehlbelastungen ein Gesundheitsrisiko sind, ist seit rund 100 Jahren bekannt. Interessanterweise hat man diese zuerst aus wirtschaftlichem Interesse untersucht, um die Effizienz von Arbeit zu erhöhen. Nun ist klar, dass humane Arbeitsgestaltung die Voraussetzung für Effizienz und Produktivität ist. Umgekehrt gilt: Wenn Arbeitsbelastungen zu Stress führen, sind Gesundheitsbeeinträchtigungen erwartbar.


Was sind „psychische Belastungen“? 

Unter psychischer Belastung versteht man die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn einwirken. Das Gefährdungspotenzial einer Belastung ergibt sich aus seinen möglichen Folgen für die Gesundheit. Lang anhaltende, gefährdende Belastungen sind ein Risiko.


Wann wird aus einem Risiko für eine Erkrankung tatsächlich eine Erkrankung?

Es kann für psychische Belastungen immer nur das potenzielle Risiko beschrieben werden. Wie lange Menschen diesem Risiko ohne Beeinträchtigungen ausgesetzt sein können, hängt von der individuellen Verwundbarkeit ab. Verhaltensanpassungen helfen aber nur bedingt, wenn die Quelle von Fehlbelastungen nicht beseitigt wird.


Welche Belastungen sind Risikofaktoren?

Ein Risiko für Gesundheitsbeeinträchtigungen haben wir bei ganz unterschiedlichen Belastungen vorgefunden. Hohe Arbeitsintensität, Arbeitsverdichtung und Zeitdruck gehören dazu, vor allem wenn sie mit geringem Handlungsspielraum oder geringer Wertschätzung verbunden sind. Überstunden, Schichtarbeit und Arbeitsplatzunsicherheit sind weitere Risikofaktoren. Interessant ist, dass in allen Industriestaaten ein vergleichbarerAnstieg von Zeit- und Leistungsdruck gefunden wurde.


Bei den Arbeitgeberverbänden herrschte bislang die Überzeugung vor, dass das Privatleben der Beschäftigten Ursache für die wachsende Zahl psychischer Erkrankungen ist…

...dafür gibt es keinerlei empirische Belege. Es gibt aber übereinstimmende Befunde, dass bestimmte Arbeitsbelastungen zu psychischen Erkrankungen führen können. Länger anhaltender Termin- und Leistungsdruck zum Beispiel kann mittelfristig mit Erholungsstörungen einhergehen und längerfristig mit Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychischen Erkrankungen.


Wie muss Arbeit organisiert sein, damit es nicht zu übermäßigen Belastungen kommt?

Es müssen nicht Belastungen reduziert werden, ohne Herausforderungen können wir nicht leben. Es geht darum, ungünstige Ausprägungen zu reduzieren. Arbeitsgestaltung, betriebliche Prävention ist elementar, das Arbeitsschutzgesetz muss angewendet werden. In allen Betrieben müssen Gefährdungsbeurteilungen stattfinden. Und dann ist eine Untersetzung des Arbeitsschutzgesetzes durch Verordnungen sinnvoll, weil sie Handlungssicherheit bringt. Es ist gut, dass die IG Metall da so aktiv ist. 

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