Interview mit Christiane Benner im „Neuen Deutschland“
„Zu früh vom Spielfeld gefegt“

Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, erklärt im Interview mit dem „Neuen Deutschland“, dass Kinderkriegen für Frauen oft wie ein Knockout in der zweiten Runde verläuft. Sie erklärt, was sich ändern muss, damit Frauen und Männer gleichwertige Chancen haben.

14. Oktober 201614. 10. 2016


Bezeichnen Sie sich als Feministin?
Christiane Benner: Nein. Ich bin frauen- und gleichberechtigungsbewegt.

Was verbinden Sie mit den Begriffen biografisch?
Ich bin mit 21 Jahren in den Betriebsrat in einem Maschinenbauunternehmen gewählt worden. Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen waren mir immer ein Anliegen. Ich war dort nach meiner Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin im Vertrieb tätig. Auf den Vertriebsveranstaltungen waren wir von knapp 200 Beschäftigten zwei Frauen, aber wir sind über 50 Prozent in der Gesellschaft. Konkret habe ich als Betriebsrätin für faire Arbeitszeitregelungen oder Eingruppierungsfragen für die Kolleginnen und Kollegen gestritten. Das war für uns Betriebsräte eine Frage der Gerechtigkeit.

 

Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall

Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall (Foto: Frank Rumpenhorst)


In die IG Metall sind Sie ein Jahr nach Ausbildungsbeginn 1988 eingetreten.
Das stimmt. Das war ein bisschen ärgerlich. Warum? Der Betriebsrat hat nicht verstanden, warum jemand aus dem kaufmännischen Bereich Mitglied werden will. Da ging es auch um traditionelle Strukturen im Betriebsrat. Ich wäre vorher eingetreten, wenn jemand vehementer nachgehakt hätte. Aber mit Beginn meiner Zeit als Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) bin ich IG Metallerin geworden.

Kommt frau nach Eintritt in den Arbeitsmarkt überhaupt an Gleichstellungsthemen vorbei?
In der JAV war das ungerechte Bewertungssystem für Auszubildende ein großes Thema. Ich habe mich stark für bessere Dienstreisebezahlungen für die Kolleginnen und Kollegen im Vertrieb oder für neue Gruppenarbeitskonzepte in der Produktion eingesetzt. Das hat nicht so viel mit Geschlechterpolitik zu tun. Wir Frauen hatten uns aber zusammengeschlossen, weil ein Vorgesetzter sexuell übergriffig geworden war. Das war meine unerfreuliche Annäherung an das Thema. An dem Punkt war klar: Wir brauchen hier Solidarität, weil wir festgestellt haben, dass wir die gleichen Probleme haben.

Haben Sie die Gewerkschaft schon aus dem Elternhaus mitgebracht?
Ich komme aus einem interessanten Elternhaus, aber ohne gewerkschaftlichen Hintergrund. Meine Mutter ist Zahnarzthelferin. Sie hat gearbeitet, um meinem Vater das Studium zum Elektroingenieur zu ermöglichen. Mich hat eher mein Vater erzogen, von ihm habe ich auch meine Technikaffinität. Es war ein sehr diskursives Elternhaus. Meine Schwester und ich konnten uns mit meinen Eltern immer gut auseinanderzusetzen. Daher kommen bei mir ein kritischer Geist und das Interesse an politischen Themen. Die Politisierung in Bezug auf Geschlechterfragen begann so richtig mit dem Studium. Da habe ich mir den intellektuellen Rahmen erarbeitet.

Was haben Sie denn studiert?
Ein Schwerpunkt waren Genderstudies. Das gab es Mitte der 1990er Jahre in Deutschland noch nicht als eigenen Studiengang. Deshalb habe ich gezielt in den USA studiert.

Wie hat sich mit Ihrem Studium Ihr Blick auf gewerkschaftliche Arbeit, auf Ihre eigene Rolle geändert?
Nach sechs Jahren Arbeit im Maschinenbauunternehmen noch studieren zu können, habe ich als ein großes Privileg empfunden. Ich habe Soziologie und Organisationspsychologie studiert, weil ich Praxisbezüge im Studium gesucht habe. Im Betrieb hatten wir Betriebsvereinbarungen zu Gruppenarbeit verhandelt. Im Studium habe ich dann viel zu Arbeitsorganisation gelernt. Mich hat das Studium stark motiviert, nach einer Arbeit zu suchen, durch die ich etwas verändern kann. Und dann kam die Entscheidung, in der IG Metall arbeiten zu wollen. Gleichzeitig war mir klar: Wenn das nicht klappt, kann ich als Übersetzerin arbeiten. Das hat mir Sicherheit gegeben.

Sie gelten als ausgewiesene ITK-Expertin. Mir fehlt der Zwischenschritt von der Übersetzerin zur Computerfachfrau.
Ich hatte durch meine Tätigkeit in dem Maschinenbauunternehmen Zugang zum technischen Bereich. Darüber habe ich dann in Arbeitskreisen der IG Metall zu Arbeit und Technikgestaltung mitgearbeitet. Ich habe mich immer dafür interessiert, wie Technik genutzt werden kann, um Arbeit zu humanisieren. Als ich 1997 bei der IG Metall in Frankfurt am Main angefangen habe, sind gerade die vier neuen IT-Ausbildungsberufe eingeführt worden. Ich habe mich im Jugendbereich mit der Umsetzung der neuen Ausbildungen beschäftigt. Wir hatten in Frankfurt hunderte von IT-Auszubildenden, darunter abgebrochene Informatikstudierende, denen wir Angebote machen wollten.

Was heißt „Angebote“?
Damit meine ich: Wie können wir jungen Beschäftigten deutlich machen, was die Gewerkschaftsmitgliedschaft für einen Nutzen für sie haben kann? Ich habe mit IT-Auszubildenden den Jugendausschuss gegründet. Das war der Einstieg in Schulungen und Bildungsveranstaltungen. Die Säle waren rappelvoll, weil es wenig Erfahrung und große Unsicherheit gab. Der nächste Schritt war, dass ich im Raum Frankfurt IT-Betriebe betreut und Tarifverträge mit verhandelt habe. Dann bin ich in unseren Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gewechselt und habe iconnection aufgebaut – ein Netzwerk Gewerkschaftsaktiver aus IT-Unternehmen, Forschung und Entwicklung. In die Zeit fiel der Crash der New Economy, da hatten wir sehr viele Betriebsratsgründungen. IT-Unternehmen waren für mich echte Trendsetter.

Inwiefern?
Man kann und konnte in diesen Branchen viele Tendenzen sehen, die in anderen Unternehmen zeitverzögert geschehen. Für mich war strategisch immer sehr wichtig, Entwicklungen zu antizipieren und zu gestalten. Die IG Metall kann damit am Puls der Zeit sein und Trends erkennen. Beispielsweise dreht sich unsere Arbeitszeitkampagne aktuell auch um flexible Arbeitszeitgestaltung oder Mobilarbeit. Das sind Themen, die in der IT-Branche schon vorher aufgetaucht sind. Naja, und es schadet ja auch nicht, als IG Metall zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Mit der IT-Branche haben Sie damals wieder in einer Männerdomäne angefangen.
Ja und nein. Das Spannende an der ITBranche ist, dass der Frauenanteil überdurchschnittlich hoch ist. Sicher, die sogenannten Nerds, die mit dem Pizzakarton neben der Tastatur, sind noch überwiegend Männer. Aber ich bin ja nicht in die Keller hinabgestiegen, um die zu organisieren, sondern habe mir die US-amerikanisch geprägten ITUnternehmen vorgenommen, die auch an der Spitze viele Frauen hatten. Bei Tarifverhandlungen saßen auf der anderen Seite des Verhandlungstisches mehr Frauen, als ich das sonst kannte. Das gilt auch für die Betriebsratsgremien. Leider gab es dann eine rückläufige Entwicklung.

Wie hat sich die IGM in den letzten 30 Jahren verändert?
Sie ist vielfältiger geworden, und das ist unsere Stärke. Was viele nicht wissen: Wir sind mit 400 000 bis 500 000 Mitgliedern mit Migrationshintergrund der größte Migrantenverband in Deutschland. Was die Geschlechtergleichheit angeht, haben wir intern viel getan. Beim Nachwuchs versuchen wir 50 Prozent Frauen einzustellen. Das hat sich die Führung der IG Metall seit 2010/2011 auf die Fahnen geschrieben. Der Fisch stinkt ja bekanntlich vom Kopf, deshalb müssen wir authentisch vorleben, was wir verändern wollen. Wir wollen bei uns 30 Prozent Frauen in Führungspositionen. Auf Vorstandsebene haben wir dieses Ziel erreicht, bundesweit sind es bisher knapp 20 Prozent.

Wo liegen noch Defizite?
Ich möchte die IG Metall zu einer Werkstatt für betrieblichen und sozialen Fortschritt machen – zu einer Organisation, bei der die Leute erkennen: Wenn ich mich da organisiere, dann kommen wir zusammen in wichtigen Themen weiter. Deshalb möchte ich mit allen Beschäftigten, ob Migrationshintergrund oder nicht, ob Männer oder Frauen, Angestellte oder Arbeiter, Junge oder Alte, daran arbeiten, uns für die digitale Arbeitswelt fit zu machen. Dafür müssen wir gerade die jungen Beschäftigten noch stärker einbinden. Die junge Generation ist immer stilprägend für gesellschaftliche Veränderungen. Ich empfinde die IG Metall als sehr stark in Bewegung, und das ist was Schönes. Das möchte ich weiter entwickeln.

Ihre Schwestergewerkschaft NGG hat eine Lohngleichheitsinitiative gestartet und überprüft ihre Tarifverträge auf Benachteiligung.
Wir vergleichen tarifgebundene Betriebe und solche, die keinen Tarifvertrag haben. Die Lohnunterschiede sind in den nicht tarifgebundenen Betrieben höher, aber wir haben auch in unseren Betrieben Einkommensunterschiede zwischen drei und zehn Prozent. Je höher die Entgeltgruppe, desto höher wird die Differenz. Aber die Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie sind geschlechterneutral formuliert.

Warum gibt es dann Unterschiede?
Die Tätigkeit wird eingruppiert, egal welchen Geschlechts der oder die Beschäftigte ist. Aber es gibt andere Bestandteile im Tarifvertrag, beispielsweise Leistungszulagen oder außertarifliche Komponenten wie Bonuszahlungen, Prämien, Dienstwagen ... Bei den Zulagen haben wir durchschnittliche Zahlungen abgesichert, letztlich aber keinen Einfluss darauf, wie sich das verteilt. Und in einem Unternehmen, in dem mehr Frauen in Teilzeit arbeiten, bekommen die meisten eine niedrigere Leistungszulage. Teilzeit ist auf jeden Fall auch eine Geschlechterfrage. Wir haben eine Initiative gestartet „Auf geht’s, faires Entgelt für Frauen“. Wenn wir feststellen, dass es trotz Tarifvertrag Ungleichheit gibt, untersuchen wir, woher das kommt und handeln.

Und was sind die Ergebnisse?
Beispielsweise sind zu wenige Frauen in den Entgeltausschüssen. Da fängt es an. Also haben wir gezielt Frauen dafür qualifiziert. Im Produktionsbereich kommen Frauen oft nicht über den Facharbeiter-Ecklohn hinaus. Ein Grund ist, dass sie seit Jahren keine Weiterbildung gemacht haben. Und dann sind Sie ganz schnell bei den Fragen nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Gleichstellung. Da muss sich etwas ändern. Warum geht nicht mal Führung in Teilzeit? Warum gibt es kaum Weiterbildungen für Teilzeitbeschäftigte? Kinderkriegen ist für Frauen oft wie ein Knockout in der zweiten Runde – einfach zu früh vom Spielfeld gefegt ...

Der hohe Beschäftigungsgrad der Frauen ist ein Bluff, sagten Sie einmal. Wann ändert sich das?
Dahinter steckt, dass sich dasselbe Arbeitsvolumen auf immer mehr Frauen verteilt. Das ändert sich, wenn unsere Arbeitszeitkampagne erfolgreich sein wird. Ganz schön selbstbewusst ... Wir wollen in den Betrieben Rahmenbedingungen schaffen, die eine bessere Vereinbarkeit ermöglichen. Arbeit ist genug da, sie muss nur besser verteilt werden, und das heißt in diesem Fall: Männer und Frauen müssen die gleichen Chancen haben, aus- und wieder einzusteigen, wenn es um Erziehung, Pflege oder Weiterbildung geht. Unter unserem Kampagnenmotto „Mein Leben – Meine Zeit. Arbeit neu denken“ verstehen wir ja nicht, das beide Partner 50 Stunden arbeiten. Die meisten Frauen in Teilzeit möchten mehr arbeiten, die meisten Männer in Vollzeit weniger.

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Das Interview erschien am 14.10. im „Neuen Deutschland“. Autor: Jörg Meyer

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1028661.ich-bin-keine-feministin-aber-gleichberechtigungsbewegt.html?sstr=Benner

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