House of Labour: Weiterbildung für Arbeitnehmer
Das Haus der Anderen

Schulabschluss, Ausbildung, Berufsleben. Der Lebenslauf von Matthias Müller (42) war typisch für den eines Arbeiterkindes. Bis er sich zu etwas Neuem entschloss: Ein Studium am „House of Labour“.


Gut gelaunt blickt Matthias Müller auf zwei kleine Schilder, die an einer kleinen, unscheinbaren Tür angebracht sind. „Ja, man muss schon etwas genauer hinsehen, um den Eingang zu finden“, lacht er. Er steht vor der Tür des „House of Labour“, in dem sich die Europäische Akademie der Arbeit und die Academy of Labour befinden. Hier hat er studiert: Mit Ende 30 hatte er sich entschlossen, sein gewohntes Berufsumfeld zu verlassen und etwas Neues zu versuchen. Zuerst holte er an der Akademie seine Hochschulzugangsberechtigung nach, dann folgte der Bachelor an der Academy of Labour.

Müller arbeitet jetzt wieder bei seinem vorherigen Arbeitgeber, dem Grünflächenamt der Stadt Frankfurt. Für das Gespräch hat er seine Arbeit unterbrochen. „Ist doch kein Problem, die Zeit nehme ich mir.“ Auch sonst wirkt der frischgebackene Absolvent unkompliziert und bodenständig: Brille, Karohemd, die Ärmel hochgekrempelt, vor dem Eingang erst einmal eine Zigarette.

Matthias Müller stammt aus einer klassischen Arbeiterfamilie, der Vater Maschinenbaumeister, die Mutter arbeitete ebenfalls in der Metallindustrie. Nach dem Realschulabschluss ließ sich Müller bei der Stadt Frankfurt zum Landschaftsgärtner ausbilden. Ein Studium war kein Thema. In Deutschland ist das bis heute gang und gäbe, dass Arbeiterkinder nicht ins Gymnasium gehen und studieren, sondern nach der Haupt- oder Realschule einen Beruf erlernen. Laut aktuellen Statistiken beginnt nur jedes fünfte aller Arbeiterkinder ein Studium, mit dem Bachelor schließen es nur 15 Prozent ab.

Bei dem heute 42-Jährigen lief es zunächst ähnlich. „Ich habe viele Jahre ganz normal gearbeitet, meine Ausbildung und den Meister gemacht. Ich habe mich auch im Personalrat engagiert, zeitweise sogar auf Vollzeit.“ Dann stieß er aber an seine Grenzen: „Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine fachlichen Qualifikationen nicht mehr ausreichten. Ich wollte mich mehr einbringen. Ich wollte mehr darüber wissen, wie die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Detail funktioniert.“

Über seine Tätigkeit im Personalrat stieß Müller schnell auf das Angebot des House of Labour, das sich mit seinen zwei Bildungseinrichtungen insbesondere an sozialpolitisch engagierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wendet. Aber er hatte auch etwas Glück. Die Stadt Frankfurt vergibt jedes Jahr drei Stipendienplätze. Die ermöglichen es Mitarbeitern, ein Studium in der Akademie zu absolvieren. Ihre Gehälter erhalten sie dabei weiter. Der gelernte Gärtner bewarb sich und bekam das Stipendium. Andere aus seinem Studiengang hatten dieses Glück nicht: „Ich war beeindruckt, was viele meiner Kommilitonen auf sich genommen haben, um zu studieren. Die einen mussten für die Zeit auf ihre Löhne verzichten, andere hatten sogar ihren Job vorher gekündigt.“

Die meisten Studierenden waren im Wohnheim untergebracht, das sich im Gebäude befindet. Akademie und Zuhause wurden eins, auch nach Unterrichtsschluss blieb man zusammen. Tagsüber standen neben bekannteren Schwerpunkten wie Volks- und Betriebswirtschaftslehre auch Themen wie Personalführung und Tarifrecht auf dem Lehrplan.

Dabei hatte keiner das Gefühl, mit dem Stoff im Stich gelassen zu werden. „Eine Woche, nur voll von Klausuren, das gab es bei uns nicht“, sagt auch Matthias Müller. Besonders während des berufsbegleitenden Bachelors achtete man bei der Academy of Labour sehr darauf, dass die Studierenden Beruf und Studium vereinbaren konnten. Ein Hauptaugenmerk lag darauf, auf die Bedürfnisse der Studierenden zu achten. Das spiegelte sich auch im Verhältnis zum Lehrpersonal wider: „Ein Professor Martin Allespach war bei uns nicht der Herr Professor, er war einfach der Martin. So eine persönliche Nähe hat man sonst kaum.“

Matthias Müller stieß während seiner Studien schnell auf sein Lieblingsthema: Personalentwicklung. Darüber schrieb er schließlich seine Abschlussarbeit. „Mich hat vor allem die Frage interessiert, wie ein Betrieb seinen Mitarbeitern dabei helfen kann, ihre Ziele zu verwirklichen. Ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft nur die Betriebe Erfolg haben werden, die genau das versuchen.“ Dass dies auch beim Grünflächenamt der Stadt Frankfurt gelingt, dabei möchte Matthias Müller mithelfen. Erste Schritte sind getan: Als Leiter eines Sachgebiets hat er regelmäßige Gruppengespräche eingeführt. Gemeinsam legen die Mitarbeiter nun Ziele fest und sprechen Verbesserungswünsche aus. Einzelgespräche vertiefen die Abstimmung untereinander. Jeder Mitarbeiter soll gehört werden.

Jedoch fehlt dieses Verständnis für die Bedürfnisse der Arbeitnehmer oft. Große Zuversicht setzt Müller daher in den Neubau des House of Labour, dessen Grundsteinlegung im Mai 2018 vollzogen wurde. Das House of Labour wird dann an den Frankfurter Unicampus der Wirtschaftswissenschaften umziehen. Darüber freut sich Matthias Müller am meisten: „Ich habe schon die Hoffnung, dass mit dem Umzug das House of Labour verstärkt Einfluss auf die Studieninhalte nehmen kann. Warum sollten die Wirtschaftswissenschaften nicht auch mal Arbeitnehmerpolitik lehren?“

Seine eigene Zukunft sieht der Absolvent ganz klar im Betrieb, auch wenn ihm das Studieren viel Spaß gemacht hat. Sein neues Wissen möchte er unbedingt in die Tat umsetzen. Und was ist mit dem Master, der schon bald an der Academy of Labour eingeführt wird? Will er den nicht auch noch machen? Matthias Müller schmunzelt: „Da bin ich mir noch nicht so sicher. Aber wer weiß, vielleicht kribbelt es ja bald wieder in den Fingern?“

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