Europas Gewerkschaften kämpfen gegen De-Industrialisierung
Die Krise gemeinsam angehen

In vielen europäischen Ländern brodelt es: Lohnkürzungen und Entlassungswellen treiben die Menschen auf die Straßen. Wo Politik versagt, sind Lösungsansätze der Gewerkschaften gefragt. Denn in der Krise darf die industrielle Substanz Europas als Basis für Beschäftigung nicht weiter verloren gehen.

22. Juli 201322. 7. 2013


Über die Versuche der Politik, die Krise in Europa in den Griff zu bekommen, kann man nur verzweifeln. Die von der EU koordinierte Politik der Krisenbewältigung hat das soziale Europa nachhaltig beschädigt. Die Krisenbekämpfung wird zu einem großflächigen Angriff auf den Sozialstaat benutzt. Leidtragende sind die Beschäftigten: In einer Reihe von Mitgliedsstaaten kam es zu heftigen Einschnitten: Im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft wurden die Löhne teilweise drastisch gesenkt, Mindestlöhne gekürzt oder eingefroren. Tarifvertragssysteme wurden ausgehöhlt oder ganz ausgehebelt.

Die Arbeitszeiten wurden verlängert oder – wie es so schön heißt – liberalisiert. Auch vor dem Kündigungsschutz und dem Rentenalter wird nicht halt gemacht. Beschäftigte müssen länger arbeiten, bis sie in Rente gehen, sofern sie noch ihren Job behalten haben. Gerade im öffentlichen Dienst wurden in Griechenland beispielsweise trotz massiver Proteste und Massenstreiks viele Menschen entlassen.

In einem Boot

Es gibt viele Fehlsteuerungen durch die Politik, die die sozialen Rechte in Europa fundamental untergraben. Kalt sollte das niemanden lassen, auch Beschäftigte und Bürger in den Ländern, die nicht unmittelbar von der Sparpolitik betroffen sind. Denn in Europa sitzen alle in einem Boot. Die Krise in den letzten Jahren hat deutlich gemacht, wie wichtig die Industrie für die Volkswirtschaften in Europa ist. Klar wurde das Versäumnis der letzten Jahrzehnte, der De-Industrialisierung und Exportschwäche entgegenzutreten. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die Europäische Kommission vorgenommen hat, den Anteil der Industrie am europäischen Bruttoinlandsprodukt von gegenwärtig 16 auf 20 Prozent zu steigern.

Niemand hat das so gut begriffen und versucht, dem gegenzusteuern wie die Gewerkschaften. Sie verfügen teilweise über eine gute europäische Vernetzung, die jetzt in der Krise nützlich ist. Beispiel Spanien: Die IG Metall und die spanischen Gewerkschaften verbünden sich auf dem Feld der Industriepolitik. Die Initiative zielt darauf ab, das Wirtschaftsmodell in Spanien zukunftsfest zu machen und zu vermeiden, dass Spanien mittel- und langfristig auf das Niveau eines Billiglohnlandes zurückfällt. Das erfolgreiche deutsche Industriesystem dient als Orientierung.

Zeit für sozialen Dialog

Als schlecht und krisenanfällig hat sich nämlich die starke Fokussierung Spaniens auf die Bauindustrie herausgestellt. „Davon will man weg und neue zukunftsfähige Industrien ansiedeln“, sagt Angelika Jimenez, die bei der IG Metall den Kontakt zu den spanischen Schwestergewerkschaften betreut. Spaniens Wirtschaft krankt momentan an der kleinbetrieblichen Struktur. Ziel ist es Mittelbetriebe aufzubauen und Cluster zu bilden, um etwa bei der beruflichen Bildung zusammen zu arbeiten. Erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität sollen gefördert werden. Spanien war einmal gemeinsam mit Deutschland Spitze bei den Erneuerbaren Energien. Der Staat hat jedoch diesen Wirtschaftszweig aufgegeben und die Förderung eingestellt.

Die Regierung in Madrid hält währenddessen an ihrer Blockadehaltung fest und steckt den Kopf in den Sand. Anstatt an einem Strang mit den Gewerkschaften zu ziehen, hat Ministerpräsident Rajoy den sozialen Dialog mit den Gewerkschaften aufgekündigt. Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen, Aushöhlung des Flächentarifvertrages und Deregulierung des Arbeitsmarktes haben die spanische Arbeitswelt nachhaltig erschüttert. De-Industrialisierung und Beschäftigungsabbau werden noch längere Zeit anhalten, wenn nicht sofort gegengesteuert wird.

Seit drei Jahren kooperiert die IG Metall auch mit den französischen Gewerkschaften auf dem Gebiet der Industriepolitik. Auch hier ist deutlich geworden, dass die Bewältigung des industriellen Strukturwandels nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen werden darf. Notwendig ist eine aktive Industriepolitik, die die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der industriellen Branchen stärkt. Auch in Griechenland fordern die Beschäftigten vehement, stärker in den sozialen Dialog einbezogen zu werden. Denn Licht am Ende des Tunnels ist noch lange nicht in Sicht.

Marschallplan und Beschäftigungspakt

Neben länderspezifischen Ansätzen kämpfen die Gewerkschaften für geänderte Rahmenbedingungen in den EU-Staaten. Ziel ist nicht mehr und nicht weniger ein grundsätzlicher Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Die ruinöse Sparpolitik führt so nicht weiter, sondern in eine Abwärtsspirale. Stattdessen muss es das Ziel sein, Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Alle europäischen Gewerkschaftsbünde fordern deshalb einen europäischen Marschallplan für ein Investitions- und Konjunkturprogramm und einen europäischen Beschäftigungspakt. Europas Zukunft hängt dabei entscheidend von einer stabilen Industriestruktur ab.

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