Erst Leiharbeit, jetzt Werkverträge: die neue Masche der Chefs
Die neue Billig-Masche der Arbeitgeber

Die Masche Leiharbeit funktioniert nicht mehr ganz so billig. IG Metall und Betriebsräte setzen in immer mehr Betrieben bessere Regeln und Bezahlung für Leihbeschäftigte durch. Und seit 2011 gilt ein Mindestlohn. Daher setzen immer mehr Arbeitgeber auf Werkverträge.

2. Januar 20122. 1. 2012


Über Werkverträge geben die Unternehmen Arbeit raus an „Dienstleistungs“-Firmen. Trickreich an Mindestlöhnen, Tarifverträgen und Betriebsräten vorbei. Die nächste Masche, um Menschen billig in unsichere Jobs und an den Rand der Betriebe zu drängen. So nicht, sagt die IG Metall, und packt die Werkverträge nun an.

Der Parkplatz am BMW-Werk Leipzig ist rappelvoll. Viele steigen schon in Arbeitsmontur aus – doch nur ein Teil in BMW-Overalls. Der Rest trägt Faurecia, SAS, Kühne und Nagel und wie sie alle heißen. 26 Dienstleistungsfirmen lassen hier über Werkverträge Menschen für BMW arbeiten. Längst nicht mehr nur in der Kantine oder an der Pforte, sondern bis tief in der Produktion. Für bis zu 1000 Euro weniger im Monat als die festen BMWler.

Nur die Hälfte gehört zur Stammbelegschaft
Die Hälfte der 5000 Menschen hier kommt mittlerweile von Werkvertrags-Firmen wie der Wisag Produktionsservice. 200 Wisag-Beschäftigte bauen in einer Halle Achsen zusammen, keine hundert Meter vom BMW-Montageband entfernt. Antriebswelle und Getriebe hochheben. Zusammenschrauben. Alles im 67-Sekunden Takt. Sie sind im Schnitt 33 Jahre alt. Länger halten ihre Knochen nicht durch. Sie haben zwar einen Betriebsrat, doch der kann wenig machen. »Halle, Teile, Maschinen – alles gehört dem Auftraggeber BMW, der auch die Takte vorgibt. Da haben wir keinen Zugriff, um Arbeitsplätze weniger belastend zu gestalten«, kritisiert Patrick Wohlfeld, Betriebsratsvorsitzender der Wisag.

Nach 67 Sekunden fährt die fertige Achse ein paar Meter rüber in die nächste Halle. Nicht zu BMW. Sondern zur nächsten Werkvertrags-Firma HQM, die die Achse mit dem Motor »verlobt« und dann ans BMW-Band weiterliefert.

Die Wisag, ursprünglich eine Gebäudereinigungsfirma, ist heute mit 5000 Leuten bundesweit als Industrie-Dienstleister unterwegs. Das Geschäft mit den Werkverträgen boomt, von Unternehmensberatern und Anwälten als Alternative zur Leiharbeit empfohlen. Denn Werkverträge sind weniger reguliert als Leiharbeit, in der seit Mai 2011 ein Mindestlohn gilt. Und wo Betriebsräte und IG Metall immer öfter bessere Bedingungen durchsetzen.

Bei BMW in Leipzig gibt es Werkverträge schon seit Jahren, neben Leiharbeit. Beides lässt sich auch bestens kombinieren: Die Wisag arbeitet nicht für BMW direkt, sondern im Auftrag der ThyssenKrupp Automotive, die mit BMW den Achsen-Werkvertrag geschlossen hat und wiederum die Beschäftigten von der Wisag ausleiht. Ein schlauer Kniff: Denn eigentlich erhalten Leihbeschäftigte bei BMW den IG Metall-Tariflohn. Das hat der BMW-Betriebsrat vor vier Jahren durchgesetzt. Doch das gilt rechtlich nur für Leiharbeiter direkt bei BMW. Nicht für Leiharbeiter, die formal für andere Unternehmen arbeiten, nämlich für die Werkvertrags-Firmen.

Die Zwei-Klassen-Belegschaft war gestern. Heute gibt es vier Klassen: BMW-Stamm- und BMW-Leihbeschäftigte, feste Werkvertragsleute und Werkvertrag-Leihbeschäftigte. Rund um die Kernbelegschaft wuchert ein bunter Rand. Ein Flickenteppich aus zig Vertragsarten.Viele stolpern seit Jahren von einem Rand-Flicken zum nächsten. Ein fester BMW-Job ist dabei unerreichbar.

»Das geht fast jedem hier so«, erzählt der gelernte Lackierer Daniel O.* »Als ich vor vier Jahren mit Leiharbeit angefangen habe, konnte ich höchstens ein halbes Jahr planen. Jetzt habe ich endlich einen festen Vertrag bei HQM und habe Sicherheit. Anders als viele Leihleute, die zu Weihnachten weggeschickt werden.«

*?Name von der Redaktion geändert
 
Daniel O. hat vor allem deshalb mehr Sicherheit, weil HQM wie viele andere Werkvertrags-Firmen hier mittlerweile einen Betriebsrat hat. Die IG Metall und der BMW-Betriebsrat haben systematisch Wahlen angestoßen. Alle Betriebsräte am Standort treffen und koordinieren sich. Und es wird besser: Mehr Selbstbewusstsein, mehr IG Metall-Mitglieder, Warnstreiks, bessere Bedingungen und Tarifverträge. Bei der Wisag Produktionsservice ist der Stundenlohn in den letzten Jahren immerhin von 6,50 Euro auf 10 Euro gestiegen.

Doch das Grundproblem bleibt: der Missbrauch von Werkverträgen. »Wir werden unserem Auftraggeber ThyssenKrupp Automotive zu stark«, sagt Wisag-Betriebsrat Wohlfeld.

»Daher holen die sich Leiharbeiter von woanders. 50 Neue sind schon da. Und wir können formal nichts dagegen tun.«
 
BMW in Leipzig ist kein Einzelfall. Überall werden die Werkverträgler – die »Fremdkräfte« und »Externen« – immer mehr. Dahinter steckt Strategie. Und Chaos:

»Die Konzernspitze deckelt die Personalkosten. Es gibt zu wenig Festeinstellungen, obwohl die Arbeit immer mehr wird. Da müssen sich Abteilungsleiter vor Ort eben irgendwie die Leute extern besorgen, erklärt Johann Horn, Ers- ter Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt und Mitglied des Aufsichtsrats bei Audi.

Besonders groß ist der Bedarf im IT- und Ingenieurbereich, wo Werkverträge schon seit vielen Jahren üblich sind. Bei Audi in Ingolstadt arbeiten hier geschätzt genauso viele Externe wie Interne. Durchblick hat kaum noch jemand. Denn die Werkverträge laufen nicht über die Personalabteilungen, sondern am Betriebsrat vorbei über den Einkauf, als »Sachkosten«.

»Die Personalleute wissen selbst nicht, wie viele Externe da sind – und wo. So wird Planung unmöglich. Es gibt zu wenig Parkplätze und kaum noch Stühle in der Kantine«, erzählt Horn.
 
Die Externen sind längst Teil der normalen Belegschaft geworden. Dabei muss der Werkvertragsnehmer doch laut Gesetz selbstständig arbeiten, sonst ist der Werkvertrag illegal und in Wahrheit verdeckte Leiharbeit. Doch das scheint niemanden mehr zu stören.

»Wir sind hier fest eingebunden in die Projekte. Ohne die Externen würde gar nichts mehr laufen. Das merkt man immer wieder, wenn welche gehen und ihr Know-how mitnehmen, das dann plötzlich fehlt«, sagt Software-Entwickler Niklas E.*, der gemeinsam mit vielen anderen Externen in der Entwicklung Tisch an Tisch mit Audi-Leuten arbeitet.

Dass die Externen gerne unabhängig bleiben, ist ein Märchen. »Es gibt kaum jemand, der nicht gerne fest bei Audi wäre«, bestätigt Tanja W.*, externe Projektassistentin. Externe verdienenen 500 bis 800 Euro im Monat weniger, rechnet die Betriebswirtschaftlerin vor. Sie arbeiten 40 statt 35 Stunden. Betriebliche Altersvorsorge oder gar eine Erfolgsbeteiligung – dieses Jahr im Schnitt satte 6500 Euro pro Mitarbeiter – gibt es nur für Interne. Die Werkverträgler bleiben bei Betriebsversammlungen und Infos außen vor, bekommen keine Plätze im Werkskindergarten. Und in der Kantine zahlen sie den doppelten Preis. »Am Arbeitsplatz sieht man den Unterschied kaum«, meint Tanja W. »Aber wir werden nicht mal zur Weihnachtsfeier eingeladen.«

In ihren eigentlichen Firmen, ein paar Kilometer weiter draußen, wo die Bürogebäude aus dem Boden schießen, sind Niklas E. und Tanja W. so gut wie nie. »Von wegen Dienstleis-ter«, meint Niklas E. »Da soll man doch offen sagen wie es ist: Wir sind einfach Leiharbeiter.«

Johann Horn ist sich sicher: Hier in Ingolstadt gibt es schon deutlich mehr Werkverträge als Leiharbeit. »Die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt ist völlig aus den Fugen geraten.«

Die IG Metall Ingolstadt hat daher nun die Werkverträge auf die Tagesordnung gesetzt. Das Ziel: weniger Fremdvergabe, mehr Mitsprache. Und Tarifverträge. »Das haben wir bei den Leihfirmen ja auch schon geschafft.«

* Name von der Redaktion geändert
 
Was »Große« wie BMW oder Audi vormachen, machen die »Kleinen« nach. »Wir haben erst vor ein paar Tagen erfahren, dass wir nun nicht mehr Leiharbeiter sind, sondern ab jetzt auf Werkvertrag arbeiten«, erzählt Andreas O.* Der Kfz-Mechaniker inspiziert Autos bei W.*, einem Kfz-Betrieb in Nordrhein-Westfalen. Auch wenn Andreas O. nicht versteht, dass er nicht endlich fest übernommen wird – weil »Arbeit ist doch genug da« – ist er froh. Er hat im Internet geschaut. »Werkvertrag« klingt schon mal besser als »Leiharbeit«. »Und die Leihfirma hat uns versichert, dass wir ab jetzt nicht mehr von heute auf morgen nach Hause geschickt werden können.«

Eine Illusion, wie sich bald herausstellt, als der Betriebsrat endlich Einsicht in die Werkverträge erhält: Die Verträge sind leicht und kurzfristig kündbar. Andreas O. kann genauso schnell auf der Straße landen wie zuvor. Auch sonst hat sich nichts geändert. Andreas O. macht exakt die gleiche Arbeit wie die fest angestellten Mechaniker neben ihm – nur für weniger Geld. Der Auftraggeber W.* gibt alles vor, bis hin zu den Pausenzeiten, stellt Werkzeug, Material und Raum. Von Trennung der Arbeit oder Haftung der Werkvertrags-Firma für Fehler, wie im Gesetz vorgeschrieben, keine Spur.

»Natürlich ist das illegaler Werkvertrag, um uns auszubooten«, ist sich der Betriebsrat sicher. »Wir waren gerade dabei, eine Betriebsvereinbarung zur Leiharbeit durchzusetzen. Nun hat uns der Arbeitgeber wenige Tage vorher eröffnet: Wir schwenken um auf Werkvertrag.«

Christian Iwanowski von der IG Metall Nordrhein-Westfalen, der den Betriebsrat berät, kennt das: »Arbeitgeber nutzen Werkverträge gezielt, um Mitbestimmung zu umgehen. Das zeigen unsere Umfragen. Und viele Betriebsräte glauben leider, dass sie bei Werkverträgen nichts zu melden hätten – was zum Glück nicht stimmt. So schneidet der Arbeitgeber Scheibchen für Scheibchen von der Kernbelegschaft ab.«

Der Betriebsrat geht die Werkverträge nun gemeinsam mit der IG Metall an. Höchste Zeit. Denn immer mehr Beschäftigte arbeiten hier am Rand. Und immer billiger. Aus dem IG Metall-Kfz-Tarif ist der Arbeitgeber schon vor Jahren ausgestiegen.

Und es geht immer noch billiger: Nun sind auch Mechaniker einer polnischen Werkvertrags-Firma hier. Wieviel sie verdienen, weiß keiner so genau. Ende nach unten offen.

* Namen von der Redaktion geändert
 
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