Bangladesch: Textilarbeiterinnen kämpfen für ihre Rechte
Geschlagen, entlassen und geächtet

In Bangladesch gibt es schwarze Listen. Darauf stehen Namen von Textilarbeiterinnen, die es gewagt haben, für höhere Löhne zu demonstrieren. Zwei Gewerkschafterinnen berichten, wie schwer der Kampf für mehr Rechte ist.

17. November 201717. 11. 2017


Textilarbeiterinnen in Bangladesch sind immer noch erwerbslos, weil sie für eine Verdreifachung des Mindestlohns gestreikt hatten. Im sogenannten „December Crackdown“ vor einem Jahr waren über 1500 Arbeiterinnen entlassen worden. Fabrikbesitzer und die Regierung haben ihre Zusage gebrochen, die Beschäftigten wieder einzustellen. Mühsam müssen sie darum kämpfen, wenigstens eine Abfindung zu bekommen. Die Betroffenen stehen mittellos da. Sie finden anderswo keine Arbeit mehr, weil ihre Namen auf einer schwarzen Liste stehen. Gewerkschafter leben immer noch im Untergrund. Als Anführer des Streiks haben sie keine Chance auf einen neuen Job. Manche der Entlassenen bewerben sich gezwungenermaßen unter falschem Namen, um die schwarzen Listen zu umgehen.

„Es ist unerträglich, dass Kolleginnen und Kollegen praktisch mit einem Arbeitsverbot dafür büßen müssen, nur weil sie für einen höheren Lohn demonstriert haben“, erklärt dazu der Präsident der Gewerkschaftsföderation IndustriAll Global Union und IG Metall-Vorsitzende, Jörg Hofmann. Der Mindestlohn in Bangladesch liegt derzeit bei knapp 60 Euro im Monat. Die Gewerkschaften fordern seit längerem eine deutliche Erhöhung. Denn die Beschäftigten können ihre Familien davon kaum ernähren. IndustriAll Global Union unterstützt die Forderung der Textilgewerkschaften Bangladeschs für höhere Löhne und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Gewerkschaftsföderation hat ein Abkommen (Accord) mit den Textilunternehmen durchgesetzt, das zu mehr Schutz für die Beschäftigten und sichere Arbeitsplätze geführt hat. Die Zahl der tödlichen Unfälle ist daraufhin drastisch zurückgegangen.


Schuften von Kindesbeinen an

Trotz einiger Fortschritte bei der Gebäudesicherheit wird das Recht auf Demonstration und gewerkschaftliche Betätigung weiterhin stark eingeschränkt. Zwei Gewerkschafterinnen aus Bangladesch, Kalpona Akter und Mim Akter, haben die Niederschlagung der Proteste vor knapp einem Jahr miterlebt. „Die Regierung hat auf die Demonstrationen sehr feindlich reagiert.“ Die Arbeiterinnen, die auf die Straße gingen, wurden einfach entlassen und zwar nach Beobachtung von Menschenrechtlern und Gewerkschaftern gezielt solche, die sich in ihren Fabriken für die Rechte der Belegschaft eingesetzt hatten. 39 Aktivisten saßen zweieinhalb Monate lang im Gefängnis. Diese Menschen wurden nur deswegen freigelassen, weil es immensen politischen Druck vor allem aus westlichen Ländern gab.

Für die beiden Gewerkschafterinnen war das ein neuer Höhepunkt von Repressalien im Land. Beide sind leidgeprüft. Kalpona Akter musste schon mit zwölf Jahren in der Bekleidungsindustrie arbeiten. Zusammen mit ihrem zehnjährigen Bruder musste sie für den Unterhalt der Familie sorgen. Auch heute gibt es Kinderarbeit bei Subunternehmen. Es handelt sich oft um Kinder von Fabrikarbeiterinnen, die nicht genug verdienen um ihre Kinder zur Schule zu schicken. Betroffene Familien kommen so nie aus dem Teufelskreis der Armut heraus.


Schwere Maschinen auf der Etage

Als Mim Akter in ihrem Betrieb eine Fabrikgewerkschaft gründen wollte, erlebte sie massiven Druck. „Mich hat ständig jemand verfolgt. Sie haben sogar eine Person dazu abgestellt, mich auf die Toilette zu begleiten, damit ich auf dem Weg nicht mit anderen Arbeiterinnen sprechen kann. Außerdem haben sie versucht, die Leute gegeneinander aufzubringen und den Arbeiterinnen erzählt, dass alle wegen uns ihre Jobs verlieren würden. Als wir auch dann nicht damit aufgehört haben, uns zu wehren, wurden wir von unseren Vorgesetzten zusammengeschlagen.“

Doch Mim Akter ließ sich nicht einschüchtern. Bei Gewerkschaften informierte sie sich über Sicherheitsvorkehrungen. Ihr fiel auf, dass in der Fabrik viel zu viele schwere Maschinen und Materialien pro Etage aufbewahrt wurden. Bei Inspektionen wurden die Materialien weggeräumt und gleich danach einfach wieder zurückgebracht. „Wir haben das dann gemeldet und um eine unangekündigte Inspektion gebeten. Das Fabrikmanagement hat das herausgefunden und kurz darauf mich und acht meiner Kolleginnen unter polizeilicher Aufsicht dazu gezwungen, Kündigungsschreiben zu unterzeichnen. Es hat neun Monate gedauert, unsere Jobs wiederzubekommen. Ohne die Unterstützung der Gewerkschaftsverbände und des Accords wäre das nicht möglich gewesen.“ Der Appell der beiden Gewerkschafterinnen, die vor kurzem auf Einladung des Vereins Femnet in Deutschland waren, ist eindeutig: „Unsere Löhne reichen nicht zum Leben aus. Bitte unterstützt uns dabei, existenzsichernde Löhne einzufordern, damit wir ein menschenwürdiges Leben führen können.“


Präzedenzfall im Verfahren gegen Markenkonzerne

Der Gewerkschaftsdachverband IndustriAll Global Union unterstützt die Beschäftigten in Bangladesch bei ihrem Kampf für bessere Bezahlung und mehr Rechte. Nach dem Unglück des Rana Plaza Fabrikkomplexes, wo 1138 Arbeiter qualvoll umkamen, wurde ein Abkommen für Brandschutz und Gebäudesicherheit geschlossen, der sogenannte Bangladesch Accord I. Jetzt geht es im Bangladesch Accord II darum, die Rechte der Arbeiter zu stärken, damit sie sich gewerkschaftlich organisieren können und möglichst viele Unternehmen dem Abkommen beitreten. Nach dem Unglück von Rana Plaza gibt es jetzt in jeder zehnten der 5000 Textilfabriken des Landes eine gewerkschaftliche Vertretung. Doch nur 50 haben bisher einen Tarifvertrag durchsetzen können, um die Sicherheit und die Einkommen der Beschäftigten zu verbessern.

Im Oktober erging außerdem das erste Urteil des ständigen Schiedsgerichts in den Verfahren, die IndustriALL Global Union gegen zwei Markenkonzerne führt. Es besagt, dass die Accord-Fälle zulässig sind und dass das Vorliegen der Verfahren – ohne die Markenkonzerne namentlich zu nennen – publik gemacht werden darf. Die weitreichende Entscheidung bedeutet eine Premiere und schafft einen Präzedenzfall für internationale Einigungen mit Schlichtungsklauseln zwischen Globalen Gewerkschaftsverbänden und multinationalen Unternehmen.

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