IG Metall kritisiert EU-Dienstleistungspaket
Handwerkern droht Dumping per Gesetz

Die Europäische Kommission will Handwerkern erleichtern, in allen EU-Mitgliedsstaaten Dienstleistungen zu erbringen. Das Sesam-öffne-Dich ist die sogenannte elektronische Dienstleistungskarte. Doch was unbürokratisch klingt, würde beispielsweise auf Baustellen Dumping Tür und Tor öffnen.

22. März 201722. 3. 2017


Der Zankapfel ist eine unscheinbare Plastikkarte, auf der die Daten von Dienstleistern gespeichert sind. Diese sogenannte Dienstleistungskarte soll von einer Behörde des Herkunftslandes ausgestellt werden. Ein Beispiel: In Rumänien könnte jemand angeben, dass er Elektromeister sei, und sich das von seiner nationalen Behörde auf der Dienstleistungskarte bescheinigen lassen. Die Angaben würden dann zukünftig nach Deutschland gesendet. Dort soll eine neu zu schaffende zentrale Behörde überprüfen, ob die Angaben stimmen. Kann sie nicht innerhalb von vier Wochen das Gegenteil beweisen, hat das, was auf der Karte steht, dauerhaft und unbegrenzt Bestand. So würden nationale Kontrollrechte des Staates ausgehebelt, wo die Dienstleistung erbracht wird.


Praxisfremd und kontraproduktiv

Die Dienstleistungskarte in der jetzt geplanten Form öffnet nach Überzeugung der IG Metall Betrug Tür und Tor und ist ein Papiertiger. Im Kampf gegen Scheinselbständigkeit und illegale Beschäftigung wäre sie kontraproduktiv. Auf den Baustellen würden sie nicht nur für Unmut sorgen, die geplanten Regelungen sind zudem auch praxisfremd. Dienstleistungserbringer sollen ferner einen einzigen Ansprechpartner in ihrem Heimatland und in ihrer eigenen Sprache haben. Die rumänische Behörde müsste in dem Land, wo die Dienstleistung erbracht wird, kontrollieren, ob darüber hinaus gehende deutsche Vorschriften eingehalten werden. In der Realität kaum umzusetzen. Unklar ist auch das Verfahren bei einem notwendigen Entzug der Dienstleistungskarte. Die Kommission suggeriert, dass die Karte bei Verstößen „automatisch“ zurückgezogen wird. Ein verbindliches Verfahren für den Entzug lässt sich jedoch aus den vorliegenden Texten nicht ableiten.

Noch ist es nicht so weit, aber die EU hat mit dem sogenannten Dienstleistungspaket die Weichen gestellt und will es bis zum Sommer unter Dach und Fach bringen. Darunter sind mehrere Richtlinien, neben dem Verordnungsvorschlag zur sogenannten Dienstleistungskarte gibt es auch Richtlinienvorschläge zur Berufsreglementierung, die unter anderem für den Bereich der meisterpflichtigen Handwerke gelten sollen. Die Kommission behauptet, dass der Meisterbrief nicht angetastet würde. Das aber ist reine Tarnung und ein Täuschungsmanöver. Das Dienstleistungspaket ist ein Wolf im Schafspelz.

Hände weg vom Meisterbrief

Grundpfeiler der dualen Ausbildung ist die Meisterqualifikation. Im Handwerk werden die überwiegende Anzahl der rund 380 000 Auszubildenden in den 41 reglementierten Berufen ausgebildet. Gerade in der Wirtschaftskrise 2008/09 hat das duale Ausbildungssystem seine Stärken gezeigt. Deutschland braucht auch in Zukunft ein innovationsstarkes Handwerk. Ohne es sind Herausforderungen wie Energiewende, Verkehrswende, Digitalisierung oder Modernisierung der Infrastruktur nicht machbar.


Die Ausbildungsordnungen und Meisterprüfungsordnungen werden unter Einbeziehung der Sozialpartner kontinuierlich angepasst. Bereits in den jetzigen Verfahren wird sichergestellt, dass nur Anforderungen in die Verordnungen aufgenommen werden, die einem klaren ordnungspolitischen Rahmen entsprechen. Die von der Kommission geplanten Überprüfungen sollen nicht nur bei neuen Berufsqualifikationen angewendet werden, sondern auch bei der Änderung bestehender Anforderungen bei den Meisterprüfungen.


Somit werden zum Erhalt der Innovationsfähigkeit notwendige Anpassungen der Meisterberufe, etwa im Zuge der Digitalisierung zwangsläufig durch eine Prüfung auf Verhältnismäßigkeit ungerechtfertigt behindert. Die Stoßrichtung der Kommission ist klar: Jede Form der Reglementierung behindert aus deren Sicht den Binnenmarkt. Diese Sichtweise stellt nicht nur den Meistervorbehalt sondern das sozialpartnerschaftlich getragene, duale Ausbildungssystem infrage.

Herkunftslandprinzip durch die Hintertür

IG Metall-Vorstandsmitglied Ralf Kutzner kritisierte in einem Schreiben an Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries die vorgelegten Entwürfe als ordnungspolitisch kontraproduktiv und nicht geeignet, einen fairen Wettbewerb im Binnenmarkt zu regeln. „Um eine grenzüberschreitende Mobilität attraktiver zu machen, müssen vorrangig gleiche soziale Mindeststandards sowie individuelle und kollektive Rechte für Arbeitnehmer europaweit weiterentwickelt werden“, erklärte Kutzner. Die IG Metall kritisiert, dass damit jegliche nationale Kontrollmöglichkeit außer Kraft gesetzt würde. Durch die Dienstleistungskarte würde durch die Hintertür das Herkunftslandprinzip wieder eingeführt, gegen das die Gewerkschaften 2006 Sturm gelaufen sind und das Dienstleistungsanbietern ermöglicht hätte, überall in der EU Arbeiten nach den gesetzlichen Regelungen ihres Heimatlandes anzubieten.

„Uns als IG Metall aber geht es darum, dass fairer Wettbewerb herrscht“, erklärte Kutzner. Es sei ohnehin ein Problem, dass die Schmutzkonkurrenz auf den Baustellen immer größer wird. Eine extrem kleinteilige und unverhältnismäßig bürokratische Prüfung und der Genehmigungsvorbehalt bei allen neuen und geänderten Berufsreglementierungen würde die Handlungsfähigkeit der Sozialpartner und nationaler Gesetzgebung eingeschränkt. Jetzt klagen Bundestag und Bundesrat dagegen mit einer sogenannten Subsidiaritätsrüge gegen das Dienstleistungspaket. Erheben mehrere Mitgliedsländer der Europäischen Union eine solche Rüge, muss die EU-Kommission ihr Vorhaben nochmals prüfen.

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